1573 - Blick in die Zeit
Gedanken heraus.
Ermigoa bezweifelte das. Man sah es ihr deutlich an. „Wird sie einen bekommen?" fragte sie.
Nermo Dhelim zögerte mit der Antwort.
Es war schwer genug für ihn, sich mit der Tatsache abzufinden, daß er Mirona Thetin aus dem Kreis der Kandidaten streichen mußte. Es auch noch auszusprechen, gerade Ermigoa gegenüber, machte es nicht leichter.
Nermo Dhelim schämte sich. Nicht nur vor seiner Tochter, sondern auch vor sich selbst.
Die ganze Zeit hindurch hatte er Ermigoa verdächtigt, sie sei blind vor Eifersucht und daher nicht imstande, Mirona Thetin objektiv zu beurteilen. Jetzt wußte er, daß es genau umgekehrt war: Er war es, der sich von seinen Gefühlen hatte blenden lassen. „Nein!" sagte er grob. „Sie wird die Unsterblichkeit nicht bekommen!"
Ermigoa war so taktvoll, keinerlei Genugtuung zu zeigen.
Er hätte sie gerne gefragt, warum sie Mirona Thetin stets mißtraut hatte, aber er fürchtete, daß die Antwort ihm nicht gefallen würde. Darum stürzte er sich Hals über Kopf in einen Schwall von Erklärungen: So kam er gar nicht erst in Versuchung, das heikle Thema noch einmal anzuschneiden.
Er erzählte seiner Tochter von der Welt des ewigen Lebens, von dem Auftrag, den der Unsterbliche den Lemurern durch Nermo Dhelim erteilt hatte von den Vorfahren aus der Zweiten Galaxis und dem System der dreiundvierzig Planeten, von den Spielregeln, die die Träger der Zellaktivatoren beachten mußten, und zum Schluß zeigte er ihr den funktionslosen, ausgeglühten Aktivator, den Ernst Ellert ihm mitgegeben hatte. „Ich möchte, daß du ihn behältst", sagte Nermo Dhelim zu seiner Tochter. „Er soll dich daran erinnern, daß du die Unsterblichkeit nur allzu leicht wieder verlieren kannst."
„Ich werde ihn in Ehren halten", versprach Ermigoa.
Nermo Dhelim zuckte innerlich zusammen. Er erkannte erschrocken, daß dies fast aufs Wort genau dieselbe Formel war, die er selbst angesichts dieses makabren Souvenirs benutzt hatte. „Es tut mir leid", sagte Mirona Thetin. „Es sollte ein Scherz sein. Mir ist erst viel zu spät klargeworden, daß du in diesem Augenblick nicht zum Scherzen aufgelegt warst. Es tut mir leid."
Er wußte nicht, was er darauf antworten sollte.
Sie hatte ihn überrumpelt. Als er nach dem Besuch bei Ermigoa nach Hause gekommen war, hatte er plötzlich Mirona Thetin gegenübergestanden.
Jetzt, als er sie vor sich sah, wußte er nicht einmal mehr, was er denken oder fühlen sollte. Das Herz klopfte ihm bis zum Halse. Er stand da und starrte die Tamrätin an, als sei er nicht ganz bei Trost.
Nermo Dhelim fragte sich, welchen Wert er ihren Worten jetzt wohl noch beimessen durfte. Er erinnerte sich sehr genau an die maßlose Gier, die er in ihren Blicken gesehen hatte, und er wußte, daß er dabei durchaus nicht einer Sinnestäuschung zum Opfer gefallen war.
Mirona Thetins Entschuldigung war nichts als leeres Gewäsch.
Er fragte sich, ob die Lemurerin nur etwas ahnte oder ob sie etwas wußte, und wenn ja, wieviel.
Gleichzeitig begriff er, daß sie nicht gewillt war, sich mit leeren Worten abspeisen zu lassen.
Da war ein seltsames Funkeln in ihren Augen, und ihr Lächeln machte ihm angst.
Und trotzdem wollte er all das, was er so deutlich erkennen konnte, einfach nicht wahrhaben. Er verdrängte jeden Gedanken daran, daß er sich in Gefahr befinden könnte.
Ich sollte mich umdrehen und gehen! dachte er. Es hat keinen Sinn mehr, mit ihr zu reden!
Aber wenn er sich jetzt abwandte, würde er sie nie wiedersehen. Das war ein Gedanke, den er nicht ertragen konnte. Er hatte geglaubt, er könne damit fertig werden, aber jetzt schien ihm völlig unvorstellbar, daß er fähig sein sollte, sich selbst einen solchen Schmerz zuzufügen.
Sie tat einen Schritt nach vorn, so daß das Licht auf ihr Gesicht fiel. „Verzeih mir, bitte!" sagte sie.
Sie sah aus, als hätte sie geweint.
Nermo Dhelim zögerte. Er sagte sich in aller Nüchternheit, daß er ihr nicht mehr vertrauen durfte, aber dabei beherrschte ihn der Wunsch, er könne seinen eigenen Verstand packen und erwürgen. „Reicht es nicht, daß ich dich um Verzeihung bitte?" fragte sie. „Was soll ich denn sonst noch tun?"
Wenn er das nur selbst gewußt hätte! „Ich weiß nicht einmal, was ich dir eigentlich getan habe", fuhr sie fort. Diesmal schwang Verärgerung in ihrer Stimme mit. „Was ist denn plötzlich mit dir los? Willst du mir nicht wenigstens erklären, was ich falsch gemacht habe?"
Sie lügt! dachte er. Sie
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