1575 - Der Gesang des Lebens
hatte. Auch Gucky und Beodu hätten ihm niemals über das Gefühl hinweghelfen können, im Grunde isoliert zu sein, und hier in Siom Som sah es kein bißchen anders aus. Von den gewöhnlichen Sängern hatte er sich viel zu weit entfernt.
Doch Alaska Saedelaere schied von vornherein als Erbe aus.
Ein Ophaler mußte es sein, ein Sänger. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, daß der syntronische Chor der HARMONIE für immer brachliegen sollte.
Nur wer? Qion Lanaa? Vogan Dool? Keiner von beiden hatte das Format. Oder er würde die HARMONIE ihren neuen Besitzer selbst aussuchen lassen. Sobald ein Ophaler mit Talent erschien, der den Nambaq siwa beherrschte, durfte er das Schiff in Besitz nehmen, Und wenn es bis dahin Jahrhunderte dauern mochte, egal.
Die HARMONIE hatte keinen mittelmäßigen Besitzer verdient.
Am allerwenigsten gönnte er sein Schiff Stalker. Diebstahl war in diesem Fall ausgeschlossen: An der Syntronik würde sich der ehemalige Sotho die Zähne ausbeißen. Seine Kriegskiste hatte er verloren und damit auch seine Machtmittel.
Hätte Salaam Siin nur mit Saedelaere reden können. Der Terraner hätte wie immer einen Ausweg gewußt.
Allein begab er sich in die Projektorschüssel des Schiffes. Er brachte leise Töne hervor und baute darum eine kümmerliche Melodie.
Seine Gedanken wanderten unwillkürlich in eine wenig angenehme Richtung. Wie würde es sein - als körperloses Bewußtsein, zusammen mit Miic Deinen und Versa Cameen? Eine ewige Qual, bis eines Tages die Dome zerstört wurden oder verfielen? Oder immerwährende Euphorie, stets derselbe Geisteszustand über Jahrtausende hinweg? Vielleicht würden sie auch einfach nur singen. Drei Meistersänger.
Möglicherweise konnten sie eine neue Ebene des Lebens erreichen und als Geistwesen durch den Kosmos streifen.
Oder nichts von alledem. Womöglich sah die Wahrheit viel phantastischer aus.
Salaam Siin merkte nicht, wie die Zeit verging.
Als Qion Lanaa ihn rufen ließ, war es Abend geworden
7.
Dahinten kam das Bauwerk in Sicht. Inmitten des kaum bebauten Areals, das in einer Riesenstadt wie dieser gleichzeitig als Luxus und Verschwendung erschien, erhob sich der Estartische Dom von Mardakka. Davor stand eine große Menge von Personengleitern. Mindestens hundert waren es, und ein paar davon sahen so groß aus, daß bestimmt mehrere Leute damit gekommen waren.
Vogan Dool steuerte den Gleiter nahe ans Portal.
Salaam Siin selbst hatte sich so schwach gefühlt - in diesen Augenblicken hatte er einen Begleiter nötig.
Niemand zu sehen.
Sie ließen den Gleiter stehen und traten durch das riesige Portal. Salaam Siin fühlte sich wie betäubt. Er war gekommen, um hier zu sterben, das durfte man nicht vergessen. Kälte durchdrang seine Haut und kroch in die Tiefe seines Körpers, doch er wußte nicht, ob daran nicht allein sein seelischer Zustand schuld war.
Von fern nahm er jetzt die ersten psionischen Schwingungen wahr. Irgendwo dort, hinter den nächsten Türen, sangen mehrere Personen. Jeglicher Schall wurde vom Lebensstein absorbiert, während die Psi-Wellen ihre normale Reichweite entwickelten. In den Nebenräumen standen die langen, polierten Holzbänke.
Doch heute sahen sie im Gegensatz zu seinem ersten Besuch benutzt aus. Kleidungsstücke waren liegengeblieben, und staubige Fußabdrücke zeigten, daß sich hier viele Personen aufgehalten hatten. Am hinteren Ende der Bankreihen arbeitete ein kopfgroßer Reinigungsroboter. Die vorderen Düsen saugten nach herkömmlicher Methode den Schmutz ein, sein Hinterteil polierte mit Bürsten Holz und Boden nach. „Komm, Salaam Siin!" bat sein Diener. „Sie warten auf dich."
„Ja, ich komme." Die paar Meter bis zur letzten Tür wurden zu einer Ewigkeit. „Wirst du auch im Todeschor mitsingen, Vogan Dool?"
„Natürlich. Ich bin keiner der guten Singlehrer, schon gar kein Meistersänger. Aber du mußt nicht fürchten, daß ich falsche Töne singe."
Salaam Siin pfiff sarkastisch. „Dann bin ich beruhigt."
Er streckte zwei seiner Tentakelarme aus und stieß damit das Portal auf. Eine halbe Sekunde lang nahm er noch die Klangvielfalt ungeordneter Gespräche wahr, dann verstummte jede Äußerung. Vor ihm standen auf engem Raum gedrängt zweihundert Ophaler. Sie alle hatten feierliche Gewänder angelegt. Violette und grüne Schärpen spannten sich über weißen Stoff. Ihre Hälse waren zur vollen Länge von bis zu achtzig Zentimetern ausgefahren, und die kleinsten Ophaler stellten sich
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