1576 - Die Leichengasse
Männern kein Pardon erwarten durfte. Sie waren Diener des Ghouls, der hier das Sagen hatte. Sie sorgten sicher dafür, dass ihm die Nahrung gebracht wurde. Und jetzt war klar, dass auch sie ein Opfer für den Ghoul war.
Der zweite Mann trat nun auch zu ihr. Er war recht groß. Dunkles Haar wuchs lang und fettig auf seinem Kopf. Er sah aus wie ein Bandit aus irgendwelchen Bergen.
Er streckte Jane seine rechte Hand entgegen, legte zwei Finger unter ihr Kinn und hob ihren Kopf an. Er grinste ihr ins Gesicht, bevor er einen Kommentar abgab.
»Das ist ein Festessen für den Ghoul. So eine tolle Haut, die auch im Tod so schnell nicht verwelkt. Auf eine wie dich hat er schon lange gehofft.«
Jane konnte nicht den Mund halten und konterte: »Ich bin aber unverdaulich.«
»Ha, ha, Humor hast du auch noch. Der wird dir aber bald vergehen, das schwöre ich dir.«
»Ihr habt also vor, mich zu töten?«
»Hm«, sagte der Berettaträger. »Das wissen wir noch nicht. Oder, Percy?«
»Genau, Mason, es wird sich alles ergeben, und es kommt einzig und allein auf unseren Freund an. Es kann sein, dass er dich selbst töten will. Dann müssen wir dich ihm überlassen. Soviel ich weiß, machte er es immer sehr gnädig.«
»Oh, das beruhigt mich ein wenig.«
Mason strich mit der Waffenmündung über ihre Wange hinweg. »Ja, das ist nett. Nicht jeder Mensch erlebt so einen Tod wie du. Darauf kannst du stolz sein.«
Diesmal verkniff sich Jane eine Antwort. Sie wollte nicht noch mehr von diesem Mist hören. Es wurde zudem Zeit für die beiden Bewacher.
Gemeinsam fassten sie zu. Ihre Finger schlossen sich wie Schraubstöcke um Janes Arme.
Danach gingen sie los.
Es war kein weiter Weg mehr, denn die Hälfte der Leichengasse lag längst hinter ihnen. Hier unten wirkten die Häuser auf Jane noch älter oder verfallener, und hier am Ende der Gasse stand ein Haus quer.
Es war der Detektivin klar, dass nur dieses Haus ihr Ziel sein konnte.
Sie waren bereits so nahe herangekommen, dass Jane es genauer sehen konnte. Kein normales Dach. Das Haus sah wie eine Baracke aus. Fenster waren ebenfalls vorhanden, aber auch hier gab es keine Scheiben mehr. Jane glaubte, dass durch die Löcher ein widerlicher Leichengeruch drang, der auch ihre Nase erreichte.
Und es gab eine Tür. Noch war sie geschlossen.
Die Männer schoben Jane auf die Tür zu. Mason hielt sich jetzt in ihrem Rücken auf und drückte ihr die Waffenmündung in den Nacken.
Percy ging vor und öffnete die Tür, die breiter war als in den übrigen Häusern.
Sofort quoll der Gestank nach draußen. Man konnte meinen, dass in diesem Bau zahlreiche Leichen vermoderten. Der Gestank konnte einem normalen Menschen den Atem rauben, und Jane hielt die Luft an.
Percy betrat das Haus.
»Wir haben sie«, meldete er.
Einige Sekunden war Stille. Bis Jane ein Geräusch hörte, das ihr einen kalten Schauer über den Körper trieb. Es war eine Mischung aus Schmatzen und Lachen. Damit gab der Ghoul zu verstehen, dass er vorhanden war und sich freute.
»Sollen wir sie töten?«
Jane schrak zusammen und erstarrte danach, als sie diese Frage hörte.
Das war wie ein Schlag in den Magen, und sie hatte das Gefühl, als hätte sie einen elektrischen Schlag erhalten. Mit weichen Knien wartete sie auf die Antwort und fragte sich dabei, was schlimmer war. Eine Kugel in den Kopf zu bekommen oder von dem Ghoul auf eine schaurige Weise getötet zu werden?
»Nein!«
Jane schloss die Augen.
»Wir sollen sie nicht für dich töten?«, fragte Percy.
»Nein. Ich will sie haben. Lebend.«
Percy zuckte mit den Schultern, drehte sich um, ging auf Jane zu und fragte grinsend: »Na, hast du das gehört? Er will dich lebend haben. Er, der Ghoul.«
Sie schwieg. Jedes Wort wäre jetzt falsch gewesen. Aber sie spürte, dass ihr das Blut aus dem Kopf wich und ihre Knie noch weicher wurden.
Zudem erfasste sie ein Schwindel, aber sie riss sich zusammen.
Percy fasste sie an der Hand. »Los, mein Täubchen, es wartet eine besondere Überraschung auf dich.«
Jane stolperte vor. In diesen Momenten hatte sie ihr Denken ausgeschaltet. Sie war zu einer Maschine geworden, die nur noch funktionierte und keine Seele mehr besaß.
Sie trat über die Schwelle, wollte noch einen zweiten Schritt gehen, nahm noch das Licht der Kerzen wahr und erhielt einen Stoß in den Rücken, der sie nach vorn katapultierte.
Die Detektivin fiel nicht hin. Soeben schaffte sie es noch, sich zu fangen.
Hinter ihr wurde die Tür
Weitere Kostenlose Bücher