1577 - Der Engelssohn
Glanz stand. Das war Luzifers Licht, das ihn schützte.
Je näher er kam, umso mehr reagierte mein Kreuz. Es strahlte zwar kein Licht ab, aber über seine Balken lief ein Funkeln, was mir bewies, dass es die Gefahr spürte.
Matthias hielt nicht mitten auf der Treppe an, wie ich es erwartet hatte.
Er wollte alle Stufen hinter sich lassen und in meine Nähe gelangen.
Ich musste mich entscheiden, ob ich stehen blieb oder in den Gang zurückwich.
Ich ging zurück.
Es war mehr eine taktische Maßnahme, keine Feigheit. Wenn es zur Auseinandersetzung kam, benötigte ich Platz, und ich war froh, dass sich Matthias locken ließ.
Dann standen wir uns gegenüber.
Er grinste mich an.
Ich empfand dieses Grinsen als widerlich. Es sah so arrogant aus, und ich hatte Mühe, mich zurückzuhalten. Ich konnte mir vorstellen, dass er mir noch etwas sagen wollte.
»So schnell sehen wir uns wieder, Sinclair.«
»Ja.«
Jetzt lachte er. »Und du verlässt dich weiterhin auf dein Kreuz? Das hat doch schon einmal nicht geklappt. Denk daran, wessen Kraft in mir steckt.«
»Das weiß ich«, erwiderte ich. Zugleich hob ich meine Beretta an und richtete die Mündung auf ihn.
Er nahm es zunächst gar nicht zur Kenntnis. Sogar das Grinsen blieb auf seinem Gesicht.
»Willst du schießen?«
»Ich denke darüber nach.«
»Ach, du Idiot, was sind schon Kugeln.« Er breitete die Arme aus. »Bitte, gib mir eine Kugel. Ich freue mich darauf.«
Er reizte mich. Er war offensichtlich unbewaffnet, und ich schoss nicht auf Unbewaffnete. Bei ihm traf das allerdings nicht hundertprozentig zu, denn ich musste ihn selbst als Waffe einstufen, und deshalb hatte ich auch keine Skrupel, auf ihn zu feuern.
Ich hörte den Knall, und ich sah, was in diesem Augenblick geschah. Es war nur ein winziger Moment, doch er reichte aus, um die Aura zu schaffen, die plötzlich wie ein Mantel um ihn lag. In ihn jagte die Kugel hin, und sie hätte Matthias treffen müssen, aber sie explodierte und verglühte, noch bevor sie den Körper berührte, sodass ich das Nachsehen hatte.
Der Abschussknall verhallte. Stille trat ein. Lange blieb sie jedoch nicht bestehen, denn Matthias zerriss sie durch sein Lachen.
Er lachte mich aus.
Andere Menschen hätten sich bestimmt erbärmlich und sehr klein gefühlt, doch das war bei mir nicht der Fall, denn ich hatte noch einen anderen Trumpf in der Hand.
Das Lachen verstummte von einem Moment zum anderen.
»Okay, Sinclair, das war deine Ouvertüre. Jetzt sind wir quitt. Meine hast du schon erlebt. Hinter dir liegt ein Toter, und ich habe mir vorgenommen, dass du der Nächste sein wirst.«
»Ja, vornehmen kann man sich viel.«
»Denk an das Licht, Sinclair. Denk an die Kraft des Mächtigsten überhaupt. Dagegen bist du nur eine Wanze, die zertreten werden muss.«
»Glaubst du das wirklich?«
»Ja, und ich werde hier meinen ersten großen Sieg erringen. Ich werde diese Templer hier zu ihm führen. Zu dem wahren Engel, das verspreche ich dir.«
»Nein, das wirst du nicht!« Die Worte hatte nicht ich gesprochen. Sie waren hinter mir aufgeklungen.
Godwin de Salier hatte es nicht mehr in seinem Büro gehalten. Er musste etwas tun, er konnte nicht länger warten. Er hatte den Tod eines Verbündeten mit ansehen müssen, und er brauchte Luft, um wieder richtig atmen zu können.
Matthias ließ sich vom Auftreten des Templers nicht beirren.
»Ja, du stehst auch auf meiner Liste, de Salier. Du hättest einen anderen Weg gehen können, aber du hast es nicht getan. Andere haben sich Baphomet angeschlossen, das hättest du auch tun sollen.«
»Nein, nie. Ich habe hier meine Aufgabe gefunden.«
»Willst du auch sterben für sie?«
»Wenn es sein muss, ja. Ich werde mich nicht in die Fänge der Hölle begeben.«
»Wie schön. Jetzt ist alles gerichtet. Ihr beide macht den Anfang, dann werde ich mir deine Frau holen und…«
»Bist du dir da so sicher?«
Eine Frauenstimme, die Godwin und ich genau kannten.
Sophie Blanc hatte gesprochen. Nur war sie nirgendwo zu sehen…
***
Nicht nur Godwin und ich waren völlig überrascht worden, auch Matthias.
Für einige Sekunden verlor er seine Sicherheit und reagierte wie jeder normale Mensch.
Ich nutzte die Gelegenheit dennoch nicht zu einem Angriff, weil mich Sophies Stimme davon abhielt.
Es hatte sich nach außen hin nichts verändert, und doch war etwas anders geworden. Vor allen Dingen für Matthias. Ihn hatte die Stimme offenbar geschockt. Er blieb zwar auf der Stelle stehen,
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