Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

1582 - Das Kimalog

Titel: 1582 - Das Kimalog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
Vom Netzwerk:
kämmen, der, weil er sich das Haar zu schneiden weigerte, bald die Form eines Ballons bekam.
    Das ließ ihn größer erscheinen, täuschte aber auch ein größeres Kopfvolumen vor.
    Ein anderes Vermächtnis seiner Mutter, das in späteren Jahren geradezu zu seinem Markenzeichen werden sollte, war die bunte, exzentrische Kleidung. Es war Zyna, die ihn von klein auf in Lagen körperfreundlicher, farbenfroher Tücher gewickelt hatte, und er behielt diese Gewohnheit bei. Für einen kleinen Jungen wirkte das lustig und verspielt, dem Mann in solchen Kleidern sagte man jedoch Narretei und Eitelkeit nach.
    Doch Adonor selbst begann, je wissender und begabter er wurde, immer mehr an sich zu zweifehl und sich unwissender und unbegabter zu fühlen. Er wollte sich nie mit dem Erreichten zufriedengeben und erwartete von sich stets mehr, als er zu leisten vermochte. „Immer weiter zu dringen und höher zu streben ist eine Tugend", erklärte sie in ihrer volkstümlichen Weisheit. „Aber mehr zu wollen, als man geben kann, das ist Hochmut."
    Adonor hatte seine Mutter im Geiste längst schon überholt, und darum versuchte er erst gar nicht, ihr seine Vorstellungen zu erklären. Er hätte dies zu diesem Zeitpunkt auch noch gar nicht vermocht. Zyna hätte dazu wohl zu sagen gewußt, daß er dafür eben noch nicht „reif" genug sei. Aber die Sache lag etwas anders, hatte im Prinzip mit Alter und Lebenserfahrung nichts zu tun, sondern es lag vielmehr daran, daß es einfach kein Medium zu geben schien, das es ihm ermöglichte, seine Vorstellungen für andere verständlich umzusetzen.
    Adonor beneidete seine Mutter sogar ein wenig wegen der Fähigkeit, die Dinge des Lebens in einfachen Aphorismen und Phrasen darzustellen, jedes Problem auf einen einfachen Nenner bringen zu können.
    Er selbst war nicht in der Lage, sich mit Allgemeinplätzen zufriedenzugeben, ohne auch hinter die Natur der Dinge blicken zu wollen.
    Freilich war er selbst erst in späteren Jahren dazu fähig, seine Ansprüche zu erkennen. Bis zum Alter von zwölf Jahren war er nur von einer Unrast und Unzufriedenheit, einer stillen Verzweiflung erfüllt, ohne sich der eigentlichen Ursache für seine Unruhe bewußt zu sein.
    Irgendwann überkam es ihn wie ein Blitz, daß er anders als die anderen war, weil er jede Frage umkrempelte, so daß die vordem dafür gültigen Antworten auf einmal keine Gültigkeit mehr besaßen.
    Dabei verlangte er nicht viel.
    Er trug so viele ungeklärte Bilder in sich, die sich im Lauf seiner Entwicklung angesammelt hatten, und wollte nicht mehr, als sie beschreiben zu können.
    Aber dieses wenige war mehr, als irgend jemand ihm geben konnte.
    Es ging ihm dabei gar nicht darum, einen Sonnenaufgang in schönen Worten zu beschreiben oder bekannte physikalische Gesetze allgemein verständlich darzulegen und den Flug und Gesang eines Vogels auszufabulieren; das alles wäre kein Problem für ihn gewesen.
    Doch das war ihm nicht genug.
    Ihm ging es um viel Abstrakteres. Er wollte tiefer in die Materie des Einzelnen und des Ganzen eindringen. Er wollte das Zusammenwirken von Intellekt und Materie beschreiben können. Etwa die Auswirkung der Gravitation auf die Psyche adäquat umsetzen, die Wirkung der ersten oder der letzten Sonnenstrahlen des Tages auf das innerste Wesen der Natur verständlich machen, vielleicht den Gesang des Vogels und was dieser empfand, für jedermann begreifbar übersetzen können.
    Die Beschäftigung mit solchen Themen erweckte bildhafte Assoziationen in ihm. Er war dabei stets tief bewegt und aufgewühlt. Und er fühlte, daß er einer Umsetzung des für andere Unvorstellbaren und Unbegreiflichen sehr nahe war.
    Er begriff, und er hatte die Vorstellungskraft, die Geheimnisse in sich zu sehen. Nur gab es keine Worte, die Erlebnisse seiner Innenwelt zu beschreiben. Manche der ihn bewegenden Fragen konnten nicht einmal gestellt werden, weil es keine Begriffe dafür gab, sie zu benennen.
    Darum begann er, trotz zunehmender Redegewandtheit, sich wieder der Symbolik seiner frühen Kindheit zuzuwenden, ohne sich jedoch mit der Verwendung simpler Versatzstücke zu begnügen.
    Manchmal stellte er das, was ihn bewegte, mit seinem Körper dar und hoffte, daß seine Körpersprache mehr ausdrückte als unzulängliche Worte. Damit erntete er viel Applaus, aber wenig Verständnis.
    Dann wiederum baute er aus sinnlos scheinenden, abstrakten Formen unglaubliche Gebilde, die, als Ganzes gesehen, den Betrachter seltsam zu berühren

Weitere Kostenlose Bücher