1582 - Das Kimalog
Decke war mit Malereien bedeckt.
Adonor wurde schwindelig, als er versuchte, die Bilder alle auf einmal in sich aufzunehmen; sie sprengten das Fassungsvermögen seines Geistes. Erst als ihn Sando auf ein Bild aufmerksam machte und ihm erklärte, daß es das erste der gesamten Serie sei, das der Beginn der Geschichte war, brachte Adonor Ordnung in seinen Geist.
Er betrachtete die Malereien nun Bild für Bild und mit steigender Spannung.
Sando hatte recht, er hatte noch nie im Leben etwas Phantastischeres gesehen, noch nie zuvor eine solche Faszination bei der Betrachtung von Bildern erlebt. Die Bilder erzählten die Geschichte, wie die Schiffbrüchigen die planetare Katastrophe überlebt hatten und wie sie zu dem lebenswichtigen Brauch gekommen waren, für sich und für jedes Neugeborene einen Kimastrauch zu pflanzen.
Aber obwohl Adonor diese Aussage erkannte, verstand er die Bildsymbolik nicht vollinhaltlich.
Denn die Zeichnungen waren bei aller Naivität - oder vielleicht gerade darum - in ihrem Aufbau so kompliziert, daß er auf Anhieb nicht den Kode fand, um ihre letzten verschlüsselten Inhalte zu deuten. „Was sagst du dazu, mein Freund?" erkundigte Sando Genard. „Ich bin überwältigt, ich ...", begann Adonor, aber dann brach seine Stimme. Es traf ihn wie ein Blitz. Er hatte plötzlich eine Erleuchtung. Er hatte das Phantom gefaßt, dem er ein Leben lang vergebens nachgejagt war.
Auch wenn ihm die Felsmalereien nicht ihre letzten Geheimnisse verrieten, so erkannte er in diesem Moment eines ganz klar: Die Bilder gaben ihm die Antwort auf die ungelöste Frage: Was ist das Kima?
ER WUSSTE VON EINEM MOMENT ZUM ANDEREN PLÖTZLICH, WAS DAS KIMA WAR UND WIE ES ALS ALLGEMEIN VERSTÄNDLICHES OBJEKT DARZUSTELLEN WAR.
Adonor Cyrfant war so aufgewühlt, daß er mit seinem Werk am liebsten sofort beginnen wollte.
Aber er hielt an sich. Er wollte nicht in Zonai arbeiten. Er hatte auf Drostett einen kleinen ehemaligen Raumschiffshangar zur Verfügung. Das war der richtige Rahmen für die Verwirklichung seines Monumentalobjekts.
Er machte von den Felsmalereien ein paar Aufnahmen als Gedächtnisstütze, aber er fand, daß die Holografien bei aller Schärfe und Tiefenwirkung nicht annähernd den überwältigenden Eindruck der Originale vermitteln konnten. „Auf Drostett werde ich mein Kimalog erschaffen", erklärte er. „Willst du damit nicht warten, bis wir neue Erkenntnisse gewinnen?" schlug Sando Genard vor. „Es kann noch Monate dauern, bis wir die Bilder völlig entschlüsselt haben - falls dies überhaupt gelingt."
„Mir haben sie alles gesagt, was ich wissen muß."
Die Verwirklichung seiner Ideen und die Umsetzung seiner Vorstellungen von einem „Kimalog" nahmen dann doch mehr Zeit in Anspruch, als Adonor geplant hatte.
Es war in der zweiten Junihälfte dieses Jahres, als ihn eine Hyperdepesche von Lingora erreichte.
Sando Genard war der Absender. Der Inhalt der Nachricht war kurz und bündig, aber geheimnisvoll genug, um Adonors Interesse zu bannen.
HABE DAS GEHEIMNIS UNSERES VOLKES ERGRÜNDET. NUN WEISS ICH, WIE WIR ZU UNSEREM KIMA KAMEN UND WAS DAS KIMA WIRKLICH IST. MEIN FREUND, ES SIEHT NICHT GUT AUS. WENN DER AUGENBLICKLICHEN ENTWICKLUNG NICHT SCHNELLSTENS EINHALT GEBOTEN WIRD, TREIBEN WIR UNTER UNSEREN FRIEDENSSTIFTERN UNAUSWEICHLICH EINER SCHRECKLICHEN KATASTROPHE ENTGEGEN. ERWARTE DICH BALDMÖGLICH IN ZONAL DEIN FREUND SANDO.
Da sich Adonor gerade in einer wichtigen Phase seines Schaffens befand, wollte er die Arbeit am Kimalog nicht abrupt abbrechen. Hinzu kam noch, daß sein Roboter Murx, der ihm half, einige falsche Verbindungen zwischen den Bausteinen hergestellt hatte, so daß er durch die Beseitigung der Fehler zwei weitere Tage verlor.
Jedenfalls gelangte er erst zehn Tage nach Erhalt der Nachricht nach Lingora. Er kam zu spät.
Sando Genard war nicht mehr am Leben. Er hatte unter mysteriösen Umständen einen gewaltsamen Tod gefunden.
Einzelheiten darüber, wie es dazu kommen konnte, wurden Adonor vorenthalten, „um die laufenden Untersuchungen nicht zu stören".
Adonor Cyrfant konnte nur noch an Sandos welkendem Kimastrauch des Freundes gedenken.
Als er nach ausreichender Trauerzeit in Zonal die Grotte mit den Felsmalereien aufsuchen wollte, wurde ihm das verweigert. Die Begründung, daß die Friedensstifter dieses Verbot erlassen hätten, war seltsam genug.
Adonor fielen dazu Sandos unheilvolle Worte ein, daß das Volk der Linguiden unter seinen Friedensstiftern auf eine
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