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1588 - Die falsche Kette

Titel: 1588 - Die falsche Kette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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Darstellungen war falsch.
    Dorina Vaccer hatte in ihren Gedanken von Anfang an automatisch eines der Bilder im Mittelpunkt der Gesamtdarstellung gesehen: Die Übergabe der ersten Kima-Sträucher an die Nachkommen der Schiffbrüchigen.
    Dies schien ihr das wichtigste aller Bilder zu sein. Darum war es nur recht und billig, daß man gerade dieses eine Bild genau in den Zenit der Kuppel gemalt hatte.
    Aber wenn man den Zenit der Kuppel mit dem Zentrum der Gesamtdarstellung gleichsetzte, dann stimmte die Anordnung der übrigen Bilder nicht mehr mit dem logischen und zeitlichen Ablauf der Geschichte überein.
    Es gab nur eine einzige vernünftige Erklärung für dieses Phänomen: Das Bild von der Übergabe der jungen Sträucher befand sich nur in räumlicher Hinsicht im Mittelpunkt des Gesamtbildes. Vom thematischen Standpunkt aus traf das jedoch auf eine ganz andere Darstellung zu - auf jenes Bild, das Arkoniden und Tefroder zum erstenmal friedlich in einem Kreis vereint zeigte.
    Dorina Vaccer betrachtete dieses Bild sehr lange.
    Je länger sie es ansah, desto unheimlicher wurde es ihr.
    Auf den ersten Blick konnte man es für eine Darstellung halten, die eine freudige, ermutigende Botschaft vermitteln sollte. Aber bei genauerem Hinsehen erkannte die Linguidin, daß es mit diesem Bild eine ganz andere Bewandtnis haben mußte.
    Denn dies war ein Bild auf grauem Grund.
    Warum muß das Tuch der Trauer grau sein?
    Egal, welchen Grund es auch haben mochte: Grau war die Farbe der Trauer.
    Grau war der Tod.
    Grau war die Abwesenheit von allem; von Licht, Dunkelheit und Farbe.
    Und die Haltung der Tänzer drückte denn auch alles andere als Heiterkeit aus.
    Der Kreis, den sie bildeten, war kein Ausdruck der Harmonie, und die Tänzer tanzten nicht aus Freude über den gewonnenen Frieden, sondern sie wurden gewaltsam in diesen Kreis gezwungen.
    Das Bild schilderte einen Reigen der Verzweiflung und der Qual.
    Der graue Hintergrund verstärkte diesen Eindruck noch.
    Aber vielleicht war dieses Bild nur durch einen Zufall auf eine Stelle gemalt worden, die diese graue Farbe besaß.
    Dorina Vaccer erinnerte sich daran, daß sie draußen, in einer anderen Grotte, eine Leiter gesehen hatte. Sie holte diese Leiter herbei, lehnte sie an die Wand und kletterte hinauf.
    Sie besah sich das Bild auf grauem Grund aus nächster Nähe, betastete es und strich mit den Fingerspitzen darüber.
    Das gesamte Höhlensystem war mit Hilfe von Thermostrahlen in den Fels geschmolzen worden.
    Die Wände waren glatt, wie glasiert. Ihre Farbe war meist ein rötliches Braun. Graue Flächen waren selten.
    Sie hatten niemals diesen gleichmäßigen, neutralen Ton wie jene Stelle, auf der die Tänzer zu sehen waren.
    Die Zeichnungen waren mit einfachen Mitteln ausgeführt. Man hatte Ruß, Kalk, Lehm, Eisenoxyd, Ton und ähnliche Materialien mit Wasser zu Erdfarben verrührt und dann auf die Wand gestrichen.
    Da derartige Erdfarben auf dem glasierten Grund nach dem Trocknen sehr schnell abgeblättert wären, hatte man die Linien vorher eingekratzt oder angerauht.
    Das war sicher eine sehr mühsame Arbeit gewesen. Darum hatte man von vornherein auf flächige Darstellungen verzichtet.
    Aber nicht an dieser einen Stelle: Hier war der gesamte Hintergrund grau angestrichen.
    Das bedeutete, daß man sich mit diesem einen Bild ungeheuer viel Arbeit gemacht hatte. Es erklärte außerdem, warum man für dieses Bild eine relativ leicht erreichbare Stelle gewählt hatte, anstatt es oben in den Mittelpunkt der Darstellung zu setzen.
    Dorina Vaccer betrachtete die benachbarten Bilder.
    Die Darstellung der Katastrophe wies Linien auf, von denen die Friedensstifterin bis zu diesem Augenblick angenommen hatte, daß es sich um Risse im Gestein handelte.
    Bei genauerem Hinsehen stellte es sich jedoch heraus, daß auch die Linien Bestandteil der Malereien waren.
    Diese Linien waren grau.
    Wie häßliche Risse durchzogen sie die Darstellung jener Szenerie, in der die Schiffbrüchigen miteinander kämpften.
    Und dann das Bild neben den Tänzern: Der Ast, an den sie sich klammerten, war von grauen Linien umgeben.
    Graue Schatten waren um die vierzehn Figuren herum aufgetragen.
    Die Wurzeln der jungen Kima-Sträucher waren mit grauer Farbe gemalt.
    Die Blüten der Sträucher auf allen nachfolgenden Bildern hatten graue Ränder.
    Graue Linien führten von den Händen der gemalten Linguiden zu den Zweigen der Sträucher hin.
    Warum hatte man es für nötig gehalten, die mit weißer Farbe

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