159 - Magie der Rothäute

Schneefeld. Hin und wieder erkannten sie, mehr als einen Kilometer entfernt, die freie Fläche des großen, rund geformten Sees. Der Wind war stärker geworden. Sie hörten ihn zwischen den Stämmen jaulen und pfeifen. Auf der Eisfläche packte der Wind den Schnee, wirbelte ihn in Schleiern und Spiralen hoch und polierte das stumpfe Eis auf. Wenn nicht neuer Schnee fiel, falls es keinen Temperatursturz gab, würden sich die meisten Eisflächen in flimmernde Spiegel verwandelt haben. Dort haben selbst langsam fahrende Snowcats Schwierigkeiten, vorwärtszukommen.
    „Wenn es stimmt, was ich denke, rennt der Bär auf den Aussichtspunkt zu!"
    „Habt ihr hier so etwas?" fragte Jeff ungläubig.
    Durch die Wollmützen, an deren Außenseite die Feuchtigkeit des Atems kondensierte und gefror, wurden ihre Stimmen verzerrt.
    „Ein natürlicher Punkt. Eine Felsplatte."
    Die Spur war so deutlich, daß sie darauf nicht zu achten brauchten. Aber immer wieder blieben sie stehen, lauschten und sicherten nach allen Seiten. Es gab keine auffälligen Bewegungen, abgesehen von wenigen Vögeln.
    Sie brauchten eine Stunde lang, bis sie in einem beschwerlichen Marsch, meist leicht bergauf, den erwähnten Aussichtspunkt erreicht hatten. Vor ihnen war der Dämonenbär dagewesen. An einem Felsen, an dem die Spur scharf vorbeiführte, hingen einige Haarbüschel; sie waren angefroren, als der Bär hier lehnte - die Spuren bewiesen es -, und die Körperbewegung hatte sie aus dem Pelz gerissen.
    Mit spitzen Fingern nahm Tim Morton die Haare und legte sie auf den dunklen Rücken des Handschuhs.
    „Grau. Fast weiß", sagte er. „Der Dämon ist grau. Eigentlich verständlich, wenn er so alt ist."
    „Wir jagen also den Grey Demon."
    „So können wir ihn nennen. Ich denke, die Beschreibung paßt auf schauerliche Weise auf ihn."
    Grauer Dämon hatte sich lange Zeit hier aufgehalten. Die meisten Spuren waren tief und scharf. Als die Jäger an der Stelle standen, die der Vorderkante der Steinplatte am nächsten lag, sahen sie weit über den See und auf mindestens drei Viertel aller Uferstücke.
    Zwischen wuchtigen, dunklen Steintrümmern krallten sich geduckte Kiefern mit zerzausten Wipfeln und knorrigen Wurzeln in Gesteinsritzen. Es war unglaublich, daß sie hier wachsen konnten.
    „Dort!" sagte Tim Morton. „Dorthin starrte der Graue Dämon. Wenn er hier stand und geradeaus blickte, sieht er zwangsläufig das Haus mit dem roten Dach."
    „Wer wohnt dort?"
    Daß das Haus bewohnt war, erkannten sie auch ohne Ferngläser. Hinter den Scheiben leuchteten Lampen, und aus zwei Kaminen kam Rauch.
    „Ein Bankmensch aus Toronto mit seiner Familie. Im Sommer kommt er manchmal mit dem Wasserflugzeug."
    Jeff und Tim hoben die Schneebrillen und rieben sich die Augen. Sie sahen sich an: Erste Spuren der Müdigkeit waren bereits zu erkennen. Es war noch nicht einmal Mittag. Sie hatten noch gut viereinhalb Stunden Tageslicht. Sie beratschlagten, wie sie weiter vorgehen konnten.
    Nach kurzem Überlegen sagte Tim: „Bist du gut zu Fuß, Jeff?"
    „Leidlich."
    „Ich schlage folgendes vor: Wir klettern hinunter auf den See. Du gehst, das Ufer stets auf der rechten Seite, zu unseren Schneemobilen und hängst meine Snowcat an deine. Dann kommst du hierhergeknattert.
    Ich gehe in diese Richtung", er zeigte nach Nordwest, „und untersuche, ob das Vieh im Wald geblieben ist oder nicht."
    „Akzeptiert. Und dann warnen wir den Banker aus Toronto?"
    „Richtig. Danach fahren wir zurück in mein Haus. Ende des ersten Tages."
    „Das klingt vernünftig. Los, suchen wir uns einen Weg."
    Sie zogen die Brillen wieder über die Augen und warteten, bis sich die beschlagenen Innenflächen selbst geklärt hatten. Dann kletterten sie seitlich von dem Aussichtspunkt herunter, wobei sie einen großen Umweg machen mußten. Schließlich balancierten sie auf einem breiten Ast, dessen unterste Zweige im Eis festgefroren waren, hinunter auf den See.
    „Alle fünf Minuten Funkkontakt", sagte Tim, zog das Handfunkgerät aus der Tasche und kontrollierte die Einstellung. „Ich rufe dich."
    „Klingt vernünftig. Bis gleich."
    Mit langen Schritten ging Jeff Parker über das Eis und schlug die abkürzende Gerade bis zum nächsten Vorsprung einer der zahlreichen Buchten ein. Tim blickte ihm einige Sekunden lang nach, dann drehte er sich herum und versuchte., so schnell wie möglich durch die dünne, knirschende Schneeschicht sein Ziel zu erreichen. Eine Stunde lang, unterbrochen durch kurze