Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
16 - Im Schatten des Grossherrn 05 - Durch das Land der Skipetaren

16 - Im Schatten des Grossherrn 05 - Durch das Land der Skipetaren

Titel: 16 - Im Schatten des Grossherrn 05 - Durch das Land der Skipetaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
uns gegen sie beizustehen.“
    „Ah, das glaube ich nicht.“
    „Ich glaube es. Er ist ein Miridit, und zwar ein braver. Er ist nur deshalb mein Feind, weil meine Kugel zufälligerweise seinen Bruder getroffen hat, nicht aber des Schut wegen. Ich meine, er achtet uns jetzt und verabscheut das hinterlistige, giftige Verhalten der andern. Er weiß, daß ich ihm das Leben geschenkt habe. Welcher Mensch liebt sein Leben nicht! Darum fühlt er sich uns zu Dank verpflichtet.“
    „Hast du die andern nicht auch geschont? Haben sie es dir gedankt?“
    „Nein, aber sie sind auch nur elende Schurken. Hätten sie seinen Charakter, seine Offenheit, so wären wir längst mit ihnen fertig. Ich bin fest überzeugt, daß er kommen wird, und vielleicht ist uns seine Anwesenheit von Nutzen.“
    Wie der Schneider gesagt hatte, erreichten wir Jerßely in etwa einer Stunde. Es war ein Höhendorf, von dem nichts Besonderes zu sagen ist. Am Khan blieben wir halten und ließen uns einen Imbiß geben: saure Milch mit Maiskuchen. Die Pferde wurden getränkt.
    Auffallen mußte es mir, daß der Schneider, als das Dorf in Sicht kam, uns vorauseilte, um für uns eine Erfrischung zu bestellen, wie er vorgab. Halef blickte mich an, zuckte die Achseln und fragte:
    „Weißt du, warum?“
    „Er wird dem Wirt sagen, daß dieser ihn nicht Suef, sondern Afrit nennen soll.“
    „Das denke ich mir auch. Aber da hätte er doch unseren Wirt in Sbiganzy auch vorher stimmen müssen!“
    „Vielleicht ist er dort unter dem Namen Afrit bekannt.“
    „Oder der Wirt ist dennoch nicht aufrichtig mit uns gewesen!“
    „Auch möglich, doch glaube ich es nicht.“
    Nach eingenommenem Imbiß ritten wir weiter und kamen bald von der westlichen Seite des Plateaus herunter auf die bereits erwähnte Ebene von Mustafa, welche viele Stunden lang und breit ist. Durch fruchtbare Auen, wo die Ernte bereits eingeheimst war, ging es über die Straße, welche von Engely nach Komanova führt, und nach vier Stunden sahen wir Kilissely vor uns liegen.
    Es war keine romantische, aber eine reizende Gegend. Berge fehlten; desto anmutiger aber fanden wir die an den Seiten des Weges liegenden Laubwälder, unter denen es immergrüne Hölzer gab. Wir kamen durch prächtige Obstpflanzungen, wo die Südfrüchte im Freien reifen. Reiche, jetzt abgeerntete Getreidefelder dehnten sich zur Rechten und Linken, und als wir nahe an das Dorf gelangten, sahen wir einen großen Fischteich, in dessen kristallhellem Wasser sich die Bäume eines großen Gartens spiegelten. Der Garten gehörte zu einem Gebäude, dessen schloßartiges Aussehen in diesem Lande der ärmlichen Bauwerke imponieren mußte.
    „Was ist das für ein Gebäude?“ fragte ich den Schneider.
    „Es ist ein Schloß“, antwortete er.
    „Wem gehört es?“
    „Dem Gastwirt, bei welchem wir übernachten werden.“
    „Aber dieses Schloß ist doch, wie mir dünkt, kein öffentliches Gasthaus?“
    „O nein.“
    „Du sprachst jedoch von einem Khan!“
    „Ich dachte, es sei ganz gleich, ob ich Khan oder Konak sage. Ich kenne den Besitzer. Er sieht außerordentlich gern Gäste bei sich und wird euch sehr willkommen heißen.“
    „Wer ist er denn?“
    „Ein Türke aus Saloniki, der sich hier von seinen Geschäften zur Ruhe gesetzt hat. Er heißt Murad Habulam.“
    „Wie sieht er aus?“
    „Er ist in den mittleren Jahren, lang und etwas hager von Gestalt und bartlos.“
    Für einen langen, hageren, bartlosen Türken hatte ich nicht die mindeste Zuneigung. Ich kann mir einen braven, gradsinnigen, ehrlichen Türken nicht als halbes oder ganzes Skelett vorstellen und habe die Erfahrung gemacht, daß man sich im osmanischen Reich vor jedem, der über mittelmäßig lang und hager und überdies noch bartlos ist, in acht nehmen muß. Meine Miene mochte keine günstige sein, denn der Schneider fragte mich:
    „Ist es dir nicht recht, daß ich euch zu ihm führe?“
    „Nein; denn ich halte es für eine Unbescheidenheit, fünf Mann hoch sich bei einem völlig Unbekannten zu Gast zu bitten.“
    „Aber nicht ihr bietet euch an, sondern er läßt euch bitten.“
    „Das ist mir neu!“
    „Ich will es dir dadurch erklären, daß er sehr gern Gäste sieht. Ich komme oft zu ihm, und er hat mir ein für allemal den Befehl erteilt, Fremde mitzubringen, wenn er sich ihrer nicht zu schämen braucht. Er liebt die Fremden und ist ein sehr gelehrter und weit in der Welt herumgekommener Mann, wie du selbst. Ihr werdet großes Wohlgefallen

Weitere Kostenlose Bücher