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16 - Im Schatten des Grossherrn 05 - Durch das Land der Skipetaren

16 - Im Schatten des Grossherrn 05 - Durch das Land der Skipetaren

Titel: 16 - Im Schatten des Grossherrn 05 - Durch das Land der Skipetaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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nicht. Schieße nach mir, so oft du willst. Halef, löse ihm den Lasso von seinem Leib!“
    „Sihdi!“ rief der Kleine erschrocken. „Bist du toll?“
    „Nein. Mache ihn los!“
    „Das tue ich nicht!“
    „Soll ich es etwa selbst tun? Er hat nicht hinterrücks nach mir geschossen, sondern er hat sich mir offen gegenübergestellt. Er hat mir auch, bevor er schoß, eine schöne Rede gehalten, während welcher ich ihn töten konnte, wenn es mir beliebt hätte. Ein Meuchelmörder ist er nicht, und so will ich ihn auch nicht als solchen behandeln. Mach' den Lasso auf!“
    Jetzt gehorchte Halef und band den Miriditen los. Dieser stand vom Boden auf. Wenn wir erwartet hatten, daß er nun schleunigst davoneilen würde, so waren wir im Irrtum gewesen. Er streckte und reckte seine dicht an den Leib gezogen gewesenen Arme und trat dann vor mich hin.
    „Effendi“, sagte er, „ich weiß nicht, was dein Verhalten bedeuten soll.“
    „Ich habe es ja gesagt!“
    „Ich bin frei?“
    „Und kannst gehen, wohin du willst.“
    „So verlangst du nichts, gar nichts von mir?“
    „Nein.“
    „Auch kein Versprechen, dich zu schonen?“
    „Fällt mir gar nicht ein!“
    „Aber ich muß dich ja töten!“
    „Versuche es immerhin!“
    „Du selbst weißt ja, daß ich heute abend meinen Gefährten folgen soll.“
    „Ich weiß es und habe gar nichts dagegen, daß du es tust.“
    „Weißt du auch, wo sie auf mich warten?“
    In seinem Gesicht machten sich die Zeichen eines inneren Kampfes bemerklich. Stolz und Milde, Haß und Rührung stritten miteinander. Dann sagte er:
    „Wirst du mich für einen Feigling halten, wenn ich die Freiheit von dir annehme?“
    „Nein. Ich würde es auch tun und halte mich doch für einen mutigen Mann.“
    „Gut, so will ich mein Leben von dir annehmen. Es würde mich kein Mensch mehr anrühren, wenn ich es mir von dem Mörder meines Bruders schenken ließe, um auf meine Rache zu verzichten. Es bleibt die Blutrache zwischen uns, aber sie mag einstweilen schweigen. Ich sehe meinen Czakan hier liegen. Ich hebe ihn auf und gebe ihn dir, obgleich er eigentlich deine rechtmäßige Beute ist. Weißt du, was dies bedeutet?“
    „Nein.“
    „Das ist das Zeichen, daß die Blutrache einstweilen schweigen soll. Sobald du mir die Axt zurückgibst, beginnt sie von neuem.“
    „Also solange ich sie behalte, schweigt der Kampf zwischen uns?“
    „Ja. Willst du sie nehmen?“
    „Ich nehme sie.“
    „Wohin ist mein Pferd gelaufen?“
    „Da drüben an den Büschen weidet es.“
    „So gehe ich. Effendi, ich würde dir gerne meine Hand zum Abschied reichen, aber an der deinigen klebt das Blut meines Bruders. Ich darf dich nur anrühren, um dich zu töten. Lebe wohl!“
    Er schritt von dannen. Aus der Ferne wandte er sich noch einmal um und winkte uns zu, dann ging er zu seinem Pferd und ritt davon.
    Den Czakan habe ich heute noch. Die Rache des Blutes schläft noch immer und wird wohl auch niemals aufwachen.
    Der kleine Schneider hatte mit gespanntester Aufmerksamkeit diesem Vorgang zugeschaut. Es war ihm anzusehen, daß er trotz meiner früheren Worte mit größter Bestimmtheit geglaubt hatte, ich würde den Miriditen töten lassen. Ob er aber mit dem Ausgang der Sache zufrieden oder unzufrieden sei, das ließ seine Miene nicht erkennen. Dieselbe drückte jetzt nichts als das größte Erstaunen aus.
    Halef war sichtlich unzufrieden. Es wäre ihm ein großes Vergnügen gewesen, wenn ich ihm den Auftrag gegeben hätte, dem Mann fünfzig aufzuzählen und ihn dann laufen zu lassen. Aber abgesehen von der Gemeinheit eines solchen Verfahrens, hätte ich mir durch dasselbe einen doppelt ergrimmten Todfeind erworben, während ich von demselben gar nichts mehr zu fürchten hatte.
    Da der Hadschi nicht wagte, mir Vorwürfe zu machen, ließ er seinen Unmut an dem Schneider aus:
    „Nun, du Mann der Nadel und des Zwirns, was stehst du da und guckst die Luft an, als ob es Kamele regnete? Worüber wunderst du dich so sehr?“
    „Über den Effendi.“
    „Ich auch.“
    „Er konnte ihn töten lassen.“
    „Und dich dazu!“
    „Mich! Warum?“
    „Das werde ich dir seiner Zeit sagen, wenn ich es dir zugleich auch schriftlich geben kann.“
    „Dann hättet ihr euren Führer verloren.“
    „Das wäre freilich schade!“
    „Und wer weiß, was euch dann noch unterwegs passieren würde!“
    „Nun, auch nichts Schlimmeres, als wenn du dabei bist. Kennst du die Gesetze der Blutrache, wie sie hierzulande geübt

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