16 - Im Schatten des Grossherrn 05 - Durch das Land der Skipetaren
ungegerbtes Pergament. Und der Botenlohn kommt auch gleich dazu. Ich habe den Bleistift draußen im Stall. Du wirst dich mit mir hinausbemühen müssen, lieber Toma. Also komm!“
Der Bote sah den Kleinen forschend an. Er traute dem Landfrieden nicht; aber Halef sprach ja so außerordentlich freundlich. Er folgte ihm also hinaus, und Omar und Osco gingen lächelnd hintendrein.
Von meinem Platz aus konnte ich durch das offene, scheibenlose Fenster fast den ganzen Hof überblicken. Ich sah die vier über denselben hinübergehen und hinter einer Tür, jedenfalls der Stalltür, verschwinden, welche dann zugemacht wurde.
Nach einer kleinen Weile hörte ich von weitem jene Laute, welche man heutzutage nur noch in China und in der Türkei zu hören bekommt, jene unbeschreiblichen Töne, welche die Folge des innigen Verkehrs einer Peitsche mit einer Menschenhaut zu sein pflegen.
Dann wurde die Tür wieder geöffnet, und der Bote trat heraus. Seine Haltung war nicht sehr imponierend, und sein Antlitz schien einen gestörten Seelenfrieden verwinden zu wollen. Sein Gang glich beinahe demjenigen eines Orang-Utan, der sich ohne Hilfe eines Stockes auf den Beinen bewegen muß: die Knie nach vorn gebeugt, die Brust zusammengedrückt und der Kopf hintenüber gelegt.
Er war auch offenbar gar nicht neugierig, welchen Eindruck sein dramatischer Abgang machte, denn er sah sich gar nicht um, sondern er tat das, was der drastische Berliner mit den Worten bezeichnet: ‚er jondelte sich um die Ecke‘.
Die drei Exekutoren suchten mich sofort wieder auf.
„Den hatte sein Kismet hergeführt!“ sagte Halef, sich den dünnen Bart streichend und dabei ein überaus zufriedenes Lächeln zeigend. „Was sagte denn der Kerl, als er dich erblickte, Sihdi?“
Ich erzählte es.
„Ah, ein so frecher Bursche! Nun, er mag die dreißig aufrichtigen Grüße, welche ich ihm aufgetragen habe, mit nach Ostromdscha nehmen und sie dort austeilen, an wen er will.“
„Wehrte er sich nicht?“
„Er hatte nicht übel Lust dazu, aber ich sagte ihm sehr teilnahmsvoll, wenn er sich wehre, bekomme er fünfzig; lege er sich aber freiwillig auf den Boden nieder, so erhalte er nur dreißig. Er war so klug, das letztere zu wählen. Aber ich habe dafür gesorgt, daß die dreißig Grüße sein Gemüt ebenso ergriffen haben, wie fünfzig es getan hätten. Bist du einverstanden, Effendi?“
„Diesmal, ja.“
„Wenn das Kismet mir doch öfters diese Freude machen wollte, wenn es sich um solche Schurken handelt! Es gibt noch einige andere, denen ich von Herzen gern die Wahl zwischen dreißig oder fünfzig lassen möchte. Hoffentlich begegne ich dem einen oder andern von ihnen zu guter Stunde. Wie aber steht es mit deinem Fuß, Sihdi?“
„Nicht zum besten. Omar mag sehen, ob hier in der Stadt vielleicht Gips zu bekommen ist und mir ungefähr fünf Liter davon bringen. Du aber holst ein Gefäß mit Wasser, in welches ich den Fuß stellen kann, und ziehst mir nachher den Strumpf herab.“
Jetzt kam auch der Korbflechter zurück und teilte mir mit, daß er lange gesucht habe, bis er den Doktor ‚Marterstein‘ endlich fand. Dieser Herr sei eben außerordentlich beschäftigt, werde aber gleich kommen.
Ich dankte ihm für seine Mühe, schenkte ihm eine kleine Quantität Tabak und ließ ihn dann nach Hause gehen.
Halef brachte das Wasser. Als ich nun den angeschwollenen Fuß untersuchte, fand ich, daß eine Verrenkung vorhanden war, glücklicherweise aber nur eine unvollkommene. Ich hätte mir das Gelenk auch wohl selbst einrichten können, aber ich wollte doch lieber den Arzt dabei haben. Ein Fehler hätte mich auf lange Zeit hier festhalten können. Einstweilen steckte ich den Fuß in das kalte Wasser.
Endlich kam der Arzt. Aber ich hätte ihn viel eher für einen chinesischen Briefträger als für einen europäischen Äskulap gehalten.
Er war von kleiner Statur und außerordentlich dick. Seine Wangen glänzten wie hübsche Weihnachtsäpfel. Seine kleinen, etwas schief liegenden Äuglein verrieten, daß die Wiege seines Geschlechts von der Stange eines mongolischen Zeltes herabgehangen habe. Auf dem glatt geschorenen Haupt saß – weit nach hinten geschoben, so daß die Stirn frei wurde – ein alter, abgegriffener Fez, welcher an Stelle der Troddel mit einem Bündel roter, blauer und gelber Zigarrenbändchen geschmückt war. Sein kurzer Kaftan reichte ihm nur bis an das Knie, schien aber aus einer einzigen, ungeheuren Tasche zu bestehen; denn er war
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