Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
16 Uhr 50 ab Paddington

16 Uhr 50 ab Paddington

Titel: 16 Uhr 50 ab Paddington Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
es, dass der 16.50 aus Paddington am Tag darauf mit Miss Marple und Mrs. McGillicuddy abfuhr, die sich auf zwei Eckplätzen erster Klasse gegenübersaßen. Paddington war noch voller gewesen als am vergangenen Freitag – bis Weihnachten waren es ja jetzt auch nur noch zwei Tage –, aber im Zug war es vergleichsweise friedlich, zumindest in den hinteren Wagen.
    Diesmal holten sie keinen anderen Zug ein und wurden auch ihrerseits nicht eingeholt. Ab und zu sauste ein Zug Richtung London an ihnen vorbei. Zweimal sausten Züge mit hoher Geschwindigkeit in die andere Richtung an ihnen vorbei. Ab und zu sah Mrs. McGillicuddy unsicher auf die Uhr.
    «Schwer zu sagen, wann – wir waren gerade durch einen Bahnhof gekommen, das weiß ich noch…» Aber sie durchquerten immerzu Bahnhöfe.
    «In fünf Minuten müssten wir in Brackhampton ankommen», sagte Miss Marple.
    In der Tür erschien ein Schaffner. Miss Marple sah ihre Freundin fragend an. Mrs. McGillicuddy schüttelte den Kopf. Es war ein anderer Schaffner. Er knipste ihre Fahrkarten, ging weiter und schwankte etwas, als sich der Zug in eine lang gezogene Kurve legte, wobei er an Geschwindigkeit verlor.
    «Wir erreichen anscheinend Brackhampton», sagte Mrs. McGillicuddy.
    «Ja, das ist wohl der Stadtrand», sagte Miss Marple.
    Draußen glitten Lichter vorbei, Gebäude, und hin und wieder konnte man einen Blick auf Straßen und Straßenbahnen erhaschen. Sie wurden noch langsamer und fuhren über Weichen.
    «Wir sind gleich da», sagte Mrs. McGillicuddy, «und ich finde nicht, dass diese Reise das Geringste genützt hat. Oder ist dir etwas aufgefallen, Jane?»
    «Leider nicht», sagte Miss Marple mit unsicherer Stimme.
    «Eine traurige Geldverschwendung», sagte Mrs. McGillicuddy, wenn auch weniger missbilligend, als wenn sie ihre Fahrkarte aus eigener Tasche hätte bezahlen müssen. In diesem Punkt war Miss Marple jedoch unnachgiebig geblieben.
    «Nichtsdestoweniger sieht man doch gern mit eigenen Augen, wo etwas geschehen ist», sagte Miss Marple. «Dieser Zug hat ein paar Minuten Verspätung. War deiner am Freitag pünktlich?»
    «Ich glaube ja. Ich habe nicht weiter darauf geachtet.»
    Der Zug fuhr langsam in den belebten Bahnhof von Brackhampton ein. Der Lautsprecher erwachte heiser zum Leben, Türen gingen auf und zu, Menschen stiegen ein und aus und wuselten über den Bahnsteig. Es war ein einziges großes Gewimmel.
    «Kein Problem für einen Mörder», dachte Miss Marple, «hier im Gedränge zu verschwinden, den Bahnhof mitten in diesem Menschenauflauf zu verlassen oder sich sogar ein anderes Abteil zu suchen und mit demselben Zug bis an sein eigentliches Ziel zu fahren. Einfach ein Reisender unter anderen. Aber eine Leiche kann sich nicht in Luft auflösen. Die Leiche muss irgendwo sein.»
    Mrs. McGillicuddy war ausgestiegen und sprach jetzt vom Bahnsteig aus durchs offene Fenster.
    «Pass auf dich auf, Jane», sagte sie. «Hol dir bloß keine Erkältung. Das Wetter ist in dieser Jahreszeit tückisch, und du bist nicht mehr die Jüngste.»
    «Ich weiß», sagte Miss Marple.
    «Wir sollten uns wegen der Geschichte keine grauen Haare wachsen lassen. Wir haben getan, was wir konnten.»
    Miss Marple nickte und sagte:
    «Bleib nicht in der Kälte stehen, Elspeth. Sonst holst du dir die Erkältung. Trink lieber im Bahnhofsrestaurant einen schönen heißen Tee. Du hast noch Zeit, dein Zug nach London zurück fährt erst in zwölf Minuten.»
    «Das ist eine gute Idee. Auf Wiedersehen, Jane.»
    «Auf Wiedersehen, Elspeth. Ich wünsche dir ein fröhliches Weihnachtsfest. Hoffentlich ist Margaret wohlauf. Viel Spaß auf Ceylon; grüß den lieben Roderick von mir – falls er sich überhaupt an mich erinnern kann, was ich bezweifeln möchte.»
    «Natürlich erinnert er sich an dich – sehr gut sogar. Du musst ihm mal in der Schule geholfen haben – hatte das nicht irgendwie mit Geld zu tun, das aus einem Schließfach verschwunden war? Das hat er jedenfalls nicht vergessen.»
    «Ach, das!», sagte Miss Marple.
    Mrs. McGillicuddy wandte sich ab, ein Pfiff ertönte, und der Zug setzte sich in Bewegung. Miss Marple sah zu, wie der stämmige, gedrungene Körper ihrer Freundin in der Ferne verschwand. Elspeth konnte guten Gewissens nach Ceylon reisen – sie hatte getan, was zu tun war, und war aller Verantwortung ledig.
    Miss Marple lehnte sich nicht zurück, als der Zug Fahrt aufnahm. Sie blieb aufrecht sitzen und dachte angestrengt nach. Sie mochte beim Sprechen wirr und

Weitere Kostenlose Bücher