Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
16 Uhr 50 ab Paddington

16 Uhr 50 ab Paddington

Titel: 16 Uhr 50 ab Paddington Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
lieben Brüderlein wollten sie natürlich davon abhalten.»
    «Warum?»
    Der Arzt zuckte die Achseln.
    «Hatten Angst, die Dame könnte sich als echt erweisen, schätze ich.»
    «Halten Sie den Brief für echt?»
    «Da bin ich überfragt. Habe ihn nie zu sehen bekommen. Ich würde vermuten, da kannte eine Frau die Tatsachen und wollte einfach absahnen. Hoffte, bei Emma auf die Tränendrüsen drücken zu können. Womit sie schief gewickelt war. Emma ist nicht dumm. Sie hätte eine unbekannte Schwägerin nicht ans Herz gezogen, ohne ihr erst auf den Zahn zu fühlen.»
    Neugierig fügte er hinzu:
    «Warum wollen Sie denn wissen, was ich davon halte? Ich habe mit der Familie doch gar nichts zu tun.»
    «Ich wollte Sie eigentlich auch etwas ganz anderes fragen – aber ich weiß nicht, wie ich es sagen soll.»
    Dr. Quimper sah ihn erwartungsvoll an.
    «Dem Vernehmen nach ist Mr. Crackenthorpe unlängst – zu Weihnachten, wenn ich recht informiert bin – ziemlich schwer erkrankt.»
    Er sah, wie sich die Miene des Arztes verzog und verhärtete.
    «Ja.»
    «Eine Art Magenverstimmung, richtig?»
    «Ja.»
    «Das ist einigermaßen knifflig… Mr. Crackenthorpe pflegt mit seiner Gesundheit zu prahlen und beabsichtigt, einen Großteil seiner Familie zu überleben. Er meinte, Sie – bitte entschuldigen Sie, Doktor…»
    «Oh, keine Angst. Ich bin nicht zimperlich bei dem, was meine Patienten über mich sagen!»
    «Er meinte, Sie hätten ein Affentheater veranstaltet.» Quimper lächelte. «Er sagt, Sie hätten ihm alle möglichen Fragen gestellt, nicht nur, was er gegessen hätte, sondern auch, wer das Essen gekocht und serviert hätte.»
    Dem Arzt war das Lächeln vergangen. Seine Züge hatten sich wieder verhärtet.
    «Fahren Sie fort.»
    «Er sagte unter anderem: ‹Er redete, als glaubte er, ich wäre vergiftet worden.›»
    Schweigen.
    «Hatten Sie – hegten Sie einen solchen Verdacht?»
    Quimper antwortete nicht sofort. Er stand auf und ging auf und ab. Schließlich fuhr er zu Craddock herum.
    «Was zum Teufel wollen Sie jetzt von mir hören? Glauben Sie, ein Arzt kann nach allen Seiten Anschuldigungen verteilen, ohne das Geringste beweisen zu müssen?»
    «Ich wüsste bloß gern, ganz im Vertrauen, ob Sie – an diese Möglichkeit gedacht haben.»
    Dr. Quimper sagte ausweichend:
    «Der alte Crackenthorpe führt ein ziemlich genügsames Leben. Wenn die Familie zu Besuch kommt, tischt Emma besseres Essen auf. Ergebnis – eine ziemlich böse Magen-Darm-Grippe. Die Symptome entsprachen der Diagnose.»
    Craddock hakte nach.
    «Verstehe. Und damit begnügten Sie sich? Sie waren nicht – sagen wir – verblüfft?»
    «Schon gut. Schon gut. Ja, ich war verblüfft! Sind Sie jetzt zufrieden?»
    «Mich interessiert bloß noch: Was genau argwöhnten – oder befürchteten Sie?», fragte Craddock.
    «Es gibt natürlich verschiedene Magenverstimmungen, aber in diesem Fall wiesen einige Anzeichen, sagen wir, eher auf eine Arsenvergiftung hin als auf eine alltägliche Magenverstimmung. Beide haben übrigens sehr ähnliche Symptome. Auch Kollegen, die ich sehr verehre, haben sich bei der Diagnose von Arsenvergiftungen vertan – und guten Glaubens entsprechende Totenscheine ausgefüllt.»
    «Und was ergaben Ihre Untersuchungen?»
    «Meine Vermutungen erwiesen sich als praktisch unhaltbar. Mr. Crackenthorpe versicherte mir, solche Anfälle hätte er schon gehabt, bevor ich seine Behandlung übernommen hätte – und aus denselben Gründen, sagte er. Sie waren immer dann aufgetreten, wenn es zu viele zu gute Speisen gegeben hatte.»
    «Nämlich wenn das Haus voll war. Die Angehörigen zu Besuch kamen. Oder Gäste?»
    «Ja. Das ist ja auch nachvollziehbar. Aber offen gesagt, Craddock, die Sache hat mich nicht losgelassen. Ich habe sogar dem alten Dr. Morris geschrieben. Er war mein Seniorpartner und hat sich zur Ruhe gesetzt, kurz nachdem ich in seine Praxis eingestiegen war. Crackenthorpe war ursprünglich sein Patient. Ich erkundigte mich nach den früheren Anfällen, die der alte Mann gehabt haben wollte.»
    «Und was bekamen Sie zu hören?»
    Quimper grinste.
    «Eine geharnischte Abfuhr. Ich bekam mehr oder weniger zu hören, ich sei ein verdammter Narr. Tja» – er zuckte die Schultern – «wahrscheinlich war ich ein verdammter Narr.»
    «Das ist noch die Frage.» Craddock gab sich seinen Gedanken hin.
    Dann beschloss er, die Dinge beim Namen zu nennen.
    «Reden wir doch nicht um den heißen Brei herum, Doktor, es gibt Menschen,

Weitere Kostenlose Bücher