160 - Der untote Kreuzritter
Minuten.
Geräuschvoll gähnend hockte sich der Posten nieder und nickte ein.
Sofort stand Heinrich auf und lief über das Deck zu den Ladeluken, die er der Reihe nach öffnete. Schließlich kletterte er in eine hinein, ließ sich zu Boden fallen und blickte sich um. Überall standen Kisten und Fässer herum, die alle leer waren. Er kroch in eine geräumige Kiste, schob den Deckel darüber und blieb ruhig liegen.
Deutlich spürte er, wie von Minute zu Minute seine Kräfte schwanden und ihm jeder Gedanke schwerfiel.
Als die Sonne hochstieg, wich das magische Leben aus ihm, und er wurde wieder zu einem normalen Toten, dessen körperlicher Zerfall aber durch unerklärliche Kräfte gestoppt wurde.
Als es wieder Nacht wurde, erwachte er erneut zu unmenschlichem Leben. Er verließ die Kiste, kletterte an Bord und blickte sich aufmerksam um.
Das Schiff lag noch immer im Hafen Akko.
Erst drei Tage später legte es ab.
Während des Tages ruhte er in der Kiste, während der Nacht wanderte er ruhelos auf und ab. Er benötigte keinerlei Nahrung. Die Strahlen des Mondes und des Amuletts ließen ihn leben.
Seine Gedanken drehten sich nur um Runhild. Er würde darüber wachen, daß sie ihr Versprechen einhielt. Und sollte sie es nicht einhalten, schwor er grimmige Rache.
Nie zuvor war Runhild glücklicher gewesen. Ihr schien es, als hätte sie erst zu leben begonnen, seit sie Osmund kannte. In seinen Armen fand sie das Glück. Er gab ihr alles, was sie bei ihrem Mann nie gefunden hatte. Heinrich war ein brutaler Liebhaber gewesen, der auf ihre Gefühle keinerlei Rücksicht genommen hatte. Osmund war ganz anders. Er war zärtlich und liebevoll.
Es dauerte nur wenige Tage, und sie hatte ihren Gemahl vollkommen vergessen.
Osmund war nun der Herr der Burg. Alle richteten sich nach seinen Anweisungen; und alles, was er anpackte, gedieh prächtig.
Runhild hatte ihm nichts vom Schatz erzählt, den sie entdeckt hatte, doch nach und nach zahlte sie die Darlehen zurück, von denen Osmund nichts wußte.
Nur einmal wurde ihre gute Stimmung getrübt, als Kreuzritter kamen, die ihr vom Tod ihres Mannes erzählten. Es war an sich nur eine Bestätigung dessen, was sie schon lange gewußt hatte. Jetzt mußte sie weiterhin Trauer tragen und die unglückliche Witwe spielen.
Die beiden Ritter, Kunibert und Ingobert, die mit Heinrich befreundet gewesen waren, blieben ein paar Tage auf der Burg, und sie wurden nicht müde, davon zu erzählen, welch ein Held ihr Gemahl gewesen war. Runhild mußte sich immer wieder die Heldentaten ihres toten Mannes anhören. Dabei war dieser dritte Kreuzzug nicht besonders ruhmreich verlaufen. Akko war erobert worden, aber das war auch schon alles gewesen. König Barbarossa und unzählige Ritter und Knappen waren gestorben. Und das Ziel, die Eroberung Jerusalems, war nicht erreicht worden. Der Kreuzzug hatte mit einem eher schmählichen Waffenstillstand geendet. Ein Vertrag, der den Christen die freie Pilgerfahrt in das Heilige Land zusicherte, war die mäßige Ausbeute.
Runhild war froh, als die beiden Ritter endlich weiterzogen und sie wieder das Lager mit Osmund teilen konnte.
Alle in der Burg wußten über ihre Beziehung zu Osmund Bescheid, und niemand stieß sich daran. Runhild war schön und jung. Niemand konnte von ihr erwarten, daß sie wie eine Nonne lebte. Außerdem war Osmund ein Vetter Heinrichs; die Burg blieb also im Besitz der Familie.
Bald würde die Trauerzeit vorbei sein, und dann konnte sie endlich Osmund heiraten. Runhild konnte kaum den Tag erwarten, an dem es endlich soweit sein würde.
Nichts und niemand schien ihr Glück zu trüben. Doch es kam ganz anders, als sie es sich erhofft hatte.
Für Heinrich hatte die Zeit keine Bedeutung mehr. Er wußte nicht, wie lange sie von Akko nach Marseille unterwegs gewesen waren, denn er hatte die ganze Zeit unter Deck verbracht.
Endlich erreichte das Schiff Frankreich. Die Kisten und Fässer wurden an Land gebracht, und es war ein großes Glück, daß niemand auf den Gedanken kam, in die Kiste zu sehen, in der er lag. Heinrich fand sich in einem Lagerschuppen wieder. Ohne Schwierigkeiten gelangte er ins Freie.
In der Zwischenzeit hatte er gelernt, daß das Tageslicht für ihn schädlich war; es beschleunigte den Zerfall seines Körpers. Er konnte sich nur während der Nacht ungestört bewegen, tagsüber mußte er sich einen finsteren Platz suchen.
Er verließ den Hafen, rannte aus der Stadt und suchte nach einem geeigneten Versteck, in
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