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160 - Die Schrecken von Kabuul

160 - Die Schrecken von Kabuul

Titel: 160 - Die Schrecken von Kabuul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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kleinen Stichen die Wunde zu vernähen.
    »Heruntergekommenes Gesindel die meisten, kaputte Hirne, kaputte Existenzen. Und die anderen brandgefährlich. Hüte dich vor Calli Eff und seinen Dalliwaan.« Er zog den Faden durch die Endschlaufe und trennte ihn mit dem kleinen Messer ab. »Sie regieren die Stadt, jedenfalls offiziell. Ein Haufen Hirngeschädigter, glaub mir, schöne Aruula. Bei dieser Horde kannst du dich nur auf eines verlassen: dass einer schwuler ist als der andere.«
    »Und wer ist dieser Toorsten Al'Myller?«, erkundigte sie sich mit heiserer Stimme.
    »Den hast du auch schon kennen gelernt?« Der Heiler schmierte eine Fingerspitze Salbe auf den Stumpf. »Der gehört zur WEER. Vor den Männern und Frauen der WEER musst du dich ganz besonders hüten. Die WEER ist die inoffizielle Regierung von Kabuul, eine uralte Kaste, eine Religion fast, möchte ich meinen, und ihr Oberpriester heißt Magnus Al'Smidd.« Er wickelte einen neuen Verband um den Fingerstumpf und um Aruulas linke Hand. »Wenn du dir ausnahmsweise mal einen Gefallen tun willst, schöne Aruula, dann gehe allem aus dem Weg, das schwarze Mäntel und eine rotes Tuch mit gelbem Stirnband oder ein gelbes Tuch mit rotem Stirnband trägt. Versprichst du mir das?«
    »Versprochen«, hauchte sie. »Ich fühle mich gut aufgehoben bei dir, Omar Alifrid Bin Theodor.«
    »Das bist du auch. Sag einfach Bin Theodor zu mir, ja?« Er spaltete die Binde mit dem Messer und verknotete die so entstanden beiden Enden um ihr Handgelenk. »Hast du dich entschieden, wie du mich bezahlen willst?«
    »Nein«, lächelte Aruula. »Aber ist das nicht vollkommen egal?«
    »An sich schon. Aber man muss Prioritäten setzen, wie mein Vater immer zu sagen pflegte.« Er nahm das Verbandsmaterial und die Schale mit dem Sud und ging wieder zum Herd. »So eine Praxis verschlingt Unsummen. Wenn ich den armen Menschen von Kabuul oder Durchreisenden wie dir helfen will, muss ich auf ein Honorar bestehen, sonst kann ich bald niemandem mehr helfen.«
    »Ich verstehe.« Aruula setzte sich auf die Kante der Behandlungsliege. Die Formen und Linien von Möbeln, Türrahmen, Fenstern und Bodenleisten bewegten sich wie Schlangen. Das sah lustig aus. »Ich bezahle mit meinem Mantel und meinem Schwert. Das Kamshaa würde ich dir auch gern überlassen, aber dann erreiche ich den brennenden Felsen in diesem Leben nicht mehr. Aber eigentlich ist auch das egal…«
    »Lass gut sein, schöne Frau.« Bin Theodor stellte einen Topf mit Wasser auf den Herd und warf den Löffel hinein. »Ich denke, mir wäre schon gedient, wenn du ein paar schlichte Botengänge für mich übernehmen würdest.«
    »Sehr gern.« Aruula stand auf. Lächelnd betrachtete sie den Verband an ihrer Linken. Wie blütenweiß er war! Sie glaubte zu spüren, wie darunter ihr Finger wieder wuchs. »Für dich tue ich alles.«
    »Das ist praktisch, brauchst du aber nicht.« Jetzt stand der Heiler plötzlich vor ihr und lächelte sie an. War er nicht wunderbar? War er nicht der Inbegriff von Väterlichkeit und Zuwendung? Sie sah sich um. Und Rapushnik, war er nicht die Fleisch und Fell gewordene Treue? Und der weiße Mantel – war er nicht wie ein Geschenk Wudans, von den Göttern selbst geschaffen…?
    »Siehst du diese vier Kisten hier?« Omar Alifrid Bin Theodor packte in silberglänzendes Papier gewickelte Tafeln in vier Holzkisten. »Du bringst sie die östlichen Berge hinauf bis zum Pass. In vier oder fünf Tagen, du bekommst noch Bescheid. Mit deinem Kamshaa-Bullen dürfte das kein Problem sein. Dort wird in den nächsten Tagen eine Karawane aus dem Osten eintreffen. Sie übergeben dir eine schwere Kiste, die du tunlichst ungeöffnet zu mir nach Kabuul schaffen wirst, und du gibst ihnen dafür diese vier Kisten.«
    »Ich freue mich, etwas für dich tun zu können, Bin Theodor.« Ihre Zunge kam ihr vor wie ein Tierchen, das tat, was es wollte. Ihr Hirn schien das einer Fremden zu sein. Was für eine lustige Empfindung! Rapushnik kaute goldenes Gras, sein Fell war blau mit einem Mal, und auf dem Herd saß ein pelziges Wesen mit zwei Säbeln im Leib. Aruula zuckte zusammen.
    »Ist dir nicht gut, schöne Frau?«
    »O doch, ich fühle mich wundervoll.« Sie blinzelte zum Herd: Aus dem Wassertopf stieg Dampf, sonst nichts. »Wird mein Finger denn wieder gut?«
    »Ein, zwei Wochen, und du wirst keinen Gedanken mehr an diesen Finger verschwenden. Einer meiner Diener begleitet dich gleich zu einem meiner Häuser. Dort kannst du

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