160 - Die Schrecken von Kabuul
schloss.
»Weiber…«, seufzte der General. »Also, zuhören, Al'Myller!« Er lehnte sich zurück und legte die geballten Fäuste vor sich auf die Tafel. »Er hat ein Auge auf die Fremde, ist klar, ja? Kitzel heraus, was in ihr steckt, und wenn er bei seinem Urteil bleibt, bring er sie zu mir.« Wie bedauernd hob er die Schultern, zugleich zerfurchte ein Dutzend weiterer Falten sein breites Gesicht. »Obwohl mir ein Mann lieber gewesen wäre. Er weiß ja, wie ich über Waffen in Weiberhänden denke.« Der Rotbart seufzte. »Aber wir brauchen nun einmal gute Leute, wenn wir mit unseren Geschäfte expandieren wollen.«
»So ist es, mein lieber Magnus Al'Smidd. Gute Leute müssen her, es gibt verdammt viel zu tun.« Al'Myller betrachtet das Treiben im Hinterhof. Zerlumpte Gestalten mühten sich dort an den Kesseln und Pressen ab. Seit im Oktober vergangenen Jahres die Elektromotoren von einer Sekunde auf die andere stehen geblieben waren, musste die Arbeit von Hand erledigt werden. Mühsame Angelegenheit.
Andererseits: Die Leute von Kabuul rissen sich darum, für den General arbeiten zu dürfen. Und das aus gutem Grund.
Jedenfalls standen sie Schlange, und so konnte die Produktion trotz des Maschinenausfalls aufrechterhalten werden.
Das Mädchen kam zurück. In jeder Faust einen Krug, tänzelte sie zum Lehnstuhl des Generals. »Prost, die Herren!«
Sie knallte die Krüge auf den Tisch und verschwand genauso flink, wie sie gekommen war.
Al'Myller ging zu seinem General und schnappte sich einen Krug. »Auf die Neue!« Sie stießen an.
»Auf die Geschäfte!« Der General setzte den Krug an und trank hingebungsvoll. Nach Sekunden des Schweigens und Schluckens setzten sie die Krüge ab. »Das tut gut«, stöhnte der General und wischte sich den Schaum aus dem Rotbart.
»Tja, da wäre noch was.« Al'Myller senkte den Kopf und blies die Backen auf. »Gebra hat es tatsächlich gewagt.«
»Sie ist nach Kabuul zurückgekehrt?« Die Brauen des Generals wuchsen zu einer einzigen haarigen Wellenlinie zusammen.
»Vergangene Nacht, in der Tat. Ihr schlimmer Freund hat sie begleitet. Sind beide verletzt, wenn man unseren Informanten glauben will.«
»Na, wenigstens das. Sehr schön.« Der General brütete eine Zeitlang finster vor sich hin. »Wann gedenkt er, sie zu erledigen?«
»Bei nächster Gelegenheit.«
»Wo verstecken sie sich?«
»Du wirst es nicht glauben, Magnus Al'Smidd…«
***
Sie fühlte sich entspannt und getröstet, und sie verspürte eine lange nicht empfundene Zuversicht. Die Medizin tat gut. Nicht die Spur von Angst befiel Aruula, als Bin Theodor wieder den Behandlungsraum betrat. Er lächelte, tätschelte ihre Schultern und fasste ihr linkes Handgelenk. »Dann wollen wir den bösen Finger mal herrichten und neu vernähen.«
Zum ersten Mal fiel Aruula auf, wie mitfühlend seine Stimme klang und wie sympathisch er blicken konnte. Er zog ihre Hand aus dem Sud, tupfte das Blut mit weißem Stoff ab und begann den Fingerstumpf mit einem sehr kleinen, äußerst scharfen Messerchen zu bearbeiten. »Es tut gar nicht weh«, sagte sie mit sanfter Stimme. »Du machst das sehr, sehr gut…«
»Ich bin ja auch nicht irgendein Viehschamane, schöne Frau. Ich bin der berühmte Omar Alifrid Bin Theodor von Kabuul. Sind dir eigentlich Taratzen aufgefallen in der Umgebung der Stadt?«
»Nein. Doch. Ein paar.« Aruula fühlte sich gut aufgehoben bei diesem kleinen Heiler. »Zwei davon habe ich erwischt.«
Der Kampf zwei Abende zuvor war in diesen Augenblicken nur noch eine blasse Erinnerung. Ihre Augen hingen an Bin Theodors Gestalt. Endlich jemand, auf den sie bauen konnte.
Was konnte ihr schon passieren, wenn ein Mann mit so viel Erfahrung sich um sie kümmerte? Eine Woge des Glücks durchflutete Aruula.
Sie blickte zum Fenster – Rapushnik schien zu lächeln. Er spitzte seine gespaltenen Lippen zu einem Kuss. War es nicht wunderbar, ein Geschöpf wie den Kamshaa-Bullen an ihrer Seite zu wissen? Rapushnik und Omar Alifrid Bin Theodor waren bei ihr – was sollte ihr schon geschehen? Nicht einmal in Maddrax' Gegenwart hatte sie sich so sicher gefühlt.
Überhaupt Maddrax, dieser Schuft! Einfach ins Weltall zu verschwinden mit dieser Naoki und sie hier im Stich zu lassen!
»Es gibt sehr nette Menschen hier in Kabuul«, hauchte sie.
»Aber keiner ist so nett wie du, Medikus…«
»Bin Theodor, einfach Bin Theodor.« Er zog bereits einen Faden durch die Nadel, verknotete sein Ende und begann mit geschickten
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