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160 - Die Schrecken von Kabuul

160 - Die Schrecken von Kabuul

Titel: 160 - Die Schrecken von Kabuul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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vorübergehend wohnen. Ich lasse nach dir schicken, wenn es so weit ist. Dann kommst du und holst die Kisten hier ab. Zwischendurch werde ich dich wohl für ein paar kleinere Gänge brauchen. Manchen Leuten muss die Medizin ins Haus gebracht werden.«
    »Eigentlich wollte ich nicht so lange in diesen Ruinen bleiben, aber von mir aus…«
    »Du bekommst eine Eskorte, wenn es so weit ist. Ihr haltet euch dann nicht lange oben am Pass auf, hörst du? Und die Kiste wird nicht geöffnet, verstanden?«
    »Natürlich habe ich verstanden.« So leicht und beschwingt hatte Aruula sich lange nicht mehr gefühlt. Zärtlich betrachtete sie den kleinen Medikus. Auf einmal begann er zu wachsen, sein Haar wurde dunkler, Pelz spross auf seinem weißen Hemd. »Werde ich deine vier Kisten denn mit einem einzigen Kamshaa tragen können?« Plötzlich erinnerte er sie an…
    »Natürlich nicht, schöne Aruula. Ich habe doch gesagt: Du bekommst eine Eskorte. Und vorher gibt es die eine oder andere Medizin in das eine oder andere Haus zu bringen. Du bist übrigens nicht die einzige Patientin, die mich für meine Dienste mit kleineren Botengängen bezahlt. Drei von ihnen werden dich auf ihren Maulern begleiten, wenn es so weit ist.«
    »Dann wird ja alles gut.« Sie schlang die Arme um ihn und drückte ihn an sich. »Dann wird ja alles, alles gut, Sorban…«
    Behutsam aber bestimmt löste er sich aus ihrer Umarmung.
    »Sorban?« Er musterte sie halb amüsiert, halb besorgt.
    »Oh, verzeih!« Sie strich sich über die Augen. »Der Häuptling meiner alten Horde… ich dachte kurz …« Sie winkte ab. »Ach, egal!« Lächelnd schlüpfte Aruula in ihren Mantel. »Eigentlich wollte ich Kabuul ja so schnell wie möglich wieder verlassen, aber den einen Gefallen kann ich dir schon noch tun.«
    »Sehe ich auch so.« Plötzlich stand er vor ihr. In seinen Augen glitzerte es gefährlich. »Nimm das.« Bin Theodor reichte ihr ein Stück rotbrauner Masse. »Es ist die Medizin, in der wir deinen Fingerstumpf gebadet und die du getrunken hast. Sie hilft gegen vieles, um nicht zu sagen gegen alles. Als Tee wirkt es schneller, aber nicht so lange. Und du wirst nicht viel Gelegenheit haben, dir einen Tee zu machen. Kau es gut, dieses Würfelchen, hörst du? Es wird dir Schmerzen ersparen. Und wenn du mehr davon brauchst, kommst du wieder und holst es dir. Haben wir uns verstanden?«
    »Aber ja doch.« Widerstandslos ließ Aruula sich einen Würfel der rotbraunen Masse in den Mund stecken. Sie begann zu kauen – es schmeckte herb und süßlich zugleich. »Der Finger tut gar nicht mehr weh…« Sie schnallte sich ihr Schwert auf den Rücken und ging zur nächstbesten Tür. Es war, als würde sie über Wolken schreiten.
    Der Medikus fauchte sie an, als sie die Tür öffnete. »Nicht diese, dummes Weib…!« Zu spät. Schon stand sie auf der Schwelle zum benachbarten Behandlungsraum. Auf einer Liege lag eine braunhäutige, dürre Frau. Der Verband an ihrem rechten Armstumpf war durchgeblutet. In ihren Augen brannte das Fieber. Auf einem Lederhocker an ihrer Seite saß der stämmige Kerl, der ihr versehentlich die Hand abgeschlagen hatte …
    ***
    Ihr wildes Schwarzhaar, ihre sehnigen Hände, ihre grünbraunen Augen – er konnte an nichts anderes mehr denken. Nur noch an sie.
    Morgens, wenn er erwachte, vormittags, wenn er im Steinbruch des Generals Steine klopfte, nachmittags, wenn er vor der Tür seiner Hütte ausruhte, abends, wenn er die Stiefel der Männer und Frauen von der WEER putzte – nur noch an die fremde Schöne konnte erdenken.
    Wo sie wohl herkam? Was sie wohl in Kabuul wollte?
    Wann sie wohl weiterziehen würde? Oder würde sie für immer bleiben? Für immer in seiner Stadt?
    Zwei Tage, nachdem er sie zum Haus der Götter geführt hatte, sah er sie wieder. Auf ihrem Kamshaa ritt sie über den Platz des Kometen. Sie sah müde aus. Er hatte das Gefühl, sie brauchte ihn. Also klemmte er sich seine Krücken unter die Arme und humpelte hinter ihr her.
    Sie band ihr Reittier am Hoftor von Omar Alifrid Bin Theodor fest und schleppte sich die Vortreppe zum Eingang des Heilerhauses hinauf. Es ging ihr nicht gut. Arme Fremde!
    Sie brauchte jemanden, der auf sie Acht gab.
    Er ließ sich unter den anderen Männern und Frauen auf der Vortreppe nieder und steckte sich einen Würfel in den Mund.
    Die von der WEER bezahlten ihn damit; er kaute sie den lieben langen Tag. SAK nannte man das Zeug; lang her, dass er das aussprechen konnte. Lang her, dass er

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