1600 - Willkommen im Hades
dann wollte sie auch bereit sein, und deshalb zog sie sich wieder normal an. Auf keinen Fall wollte sie den Jogging-Anzug überstreifen.
Eine frische Jeans, einen dunkelblauen Kaschmir-Pullover, nur die Stiefel stellte sie neben das Bett, um rasch genug hineinschlüpfen zu können, wenn es nötig war.
In ihrer Reisetasche fand sie noch eine volle Packung Zigaretten. Sie war alles andere als eine Kettenraucherin. Hin und wieder gönnte sie sich ein Stäbchen. Immer dann, wenn sie scharf nachdachte, und das war in diesem Fall so.
Ihr Laptop stand aufgeklappt und hochgefahren auf dem Schreibtisch, den sie schon als Teenager gehabt hatte. Aus ihren dunklen Augen schaute sie versonnen auf den grauen Bildschirm. Hin und wieder nahm sie einen Zug aus der Zigarette und blies den Rauch in das Zimmer hinein.
Anna war gedanklich sehr konzentriert. Sie kannte diesen Zustand.
Bisher war immer etwas dabei herausgekommen und das würde auch heute so sein.
Ich kann das alles nicht für mich behalten, dachte sie. Ich muss jemanden finden, dem ich vertrauen kann, der vor allen Dingen verschwiegen ist und nichts weiterträgt.
Gute Freunde, die sich an die Regel halten würden, hatte sie nicht. Ihre Eltern konnte sie damit ebenfalls nicht belasten, und eigentlich hätte sie aufgeben müssen.
Anna dachte weiter. Sie rührte in ihrer Erinnerung herum, holte vieles aus der Vergangenheit in ihr Gedächtnis zurück - und zuckte leicht zusammen, als sie die Lösung gefunden hatte.
In den letzten Minuten hatte sie vergessen, an der Zigarette zu ziehen.
Sie spürte die Glut fast an der Spitze des Zeigefingers. Schnell verschwand der Rest im Ascher.
Sie wusste jetzt, wem sie ein Bild und auch die Fotos schicken konnte.
Es war ein Mann, den sie zusammen mit seiner Frau auf einem Fotografenkonvent getroffen hatte.
Der Mann war Reporter und zugleich Fotograf. Er schrieb seine Berichte für renommierte Zeitschriften und er war ein Kollege, der sich meist um Fälle kümmerte, die etwas Unheimliches und Unerklärliches an sich hatten.
Der Mann hieß Bill Conolly.
Seine Frau hörte auf den Namen Sheila. Anna hatte sich damals gut mit ihr verstanden.
Der Entschluss der Fotografin stand fest. Sie würde ihn anrufen und eine Mail schicken. Oder zuerst die Mail und dann der Anruf. Er würde sich bestimmt melden, wenn ihre Bilder von Interesse für ihn waren.
Die Nachricht und die Aufnahmen. Mehr konnte sie in diesem Augenblick nicht tun. Die Visitenkarte mit den entsprechenden Informationen hatte sie schnell gefunden, und sofort danach machte sich Anna an die Arbeit, die sie nach wenigen Sekunden unterbrach, weil ihr ein anderer Gedanke gekommen war.
Vielleicht war es doch besser, anzurufen.
Die Nummer stand auf der Karte zusammen mit der E-Mail-Adresse. Ja, sie wollte telefonieren und wurde dabei von einer gewissen Spannung erfasst. Es war die Frage, ob sich der Reporter noch an sie erinnerte.
Schließlich hatte sie mit dem Ehepaar Conolly einen recht langen Abend verbracht.
Sie setzte sich in den alten Sessel mit den Troddeln an den Seiten, nahm den Apparat in die Hand und wählte. Bei jeder Zahl schlug ihr Herz schneller. Hinter der Stirn verspürte sie das leichte Klopfen.
Der Ruf ging durch, und das war schon mal gut. Dann meldete sich eine Stimme.
»Johnny Conolly.«
Anna Eichler schluckte. Sie hatte damit gerechnet, die Stimme des Reporters zu hören, was aber nicht zutraf.
»Pardon, ich hätte gern mit Bill Conolly gesprochen.«
»Wer sind Sie denn?«
»Anna Eichler.«
Eine kurze Pause entstand. »Sollte mein Vater Sie kennen?«
Sie lachte in die Antwort hinein und sagte: »Ach ja, Sie sind der Sohn, nicht wahr?«
»Stimmt.« Die Stimme klang schon lockerer.
Anna stellte sich vor und erklärte auch, von wo sie anrief. Johnny erfuhr, dass sie so etwas wie eine Kollegin seines Vaters war.
»Da muss ich Sie enttäuschen, Frau Eichler. Meine Eltern sind im Moment nicht da.«
»Im Moment, sagen Sie?«
»Schon.«
»Dann werden sie heute noch wiederkommen?«
»Ja, das ist so. Die beiden treffen sich mit irgendwelchen Leuten zu einer Christmas-Party. Ich weiß nicht, wann sie zurückkehren. Nach Mitternacht wird es schon werden.«
»Das ist nicht weiter tragisch«, erklärte die Fotografin. »Ich bin zu jeder Zeit erreichbar. Er kann mir mailen oder mich anrufen. Zunächst möchte ich Ihrem Vater einige Fotos mailen, die ich heute geschossen habe.«
»Gut, ich bin ja da.«
»Mal etwas anderes, Mr. Conolly…«
»Ach,
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