1602 - Die Lady aus der Hölle
es nur noch Länge und Breite gab, wobei ihr Kopf auch nicht mehr an der gleichen Stelle vorhanden war. Er saß jetzt schief, war zur Seite gerutscht und schien jeden Augenblick abzufallen.
Sie war nicht zu einem Schatten geworden, aber sie hatte die normale Existenz verloren, und dann wurde sie offenbar von ihrer eigenen Welt aufgesogen und war plötzlich verschwunden.
Unsere Blicke glitten ins Leere. Da war nichts mehr, was noch an sie erinnerte. Nur die Reaktion des einen Killers, mit dem ich gesprochen hatte.
Er fing plötzlich an zu lachen. Aber es war kein fröhliches Gelächter. Es hörte sich überlaut und röhrend an. Sogar Tränen traten ihm in die Augen, und erst, als ich ihn anschaute, verstummte das Lachen.
»Was ist denn so lustig?«, fragte ich. »Noch bist du nicht aus dem Schneider.«
Auf meine Frage ging er nicht näher ein. »Du - du hast es geschafft. Du hast sie vertrieben.«
»Das ist auch alles.«
»Du kannst sie auch besiegen. Ja, du kannst den Tod auf zwei Beinen besiegen.«
»Das werden wir sehen.« Ich wechselte das Thema. »Jedenfalls habt ihr beide mir euer Leben zu verdanken. Das solltet ihr nicht vergessen. Deshalb möchte ich gern wissen, was du über Surina weißt. Woher kommt sie? Wie ist sie zu dem geworden, was sie jetzt ist?«
»Ich weiß es nicht!«
»Warum lügst du?«
»Sie ist der Tod. Sie hat ihn überwunden. Sie ist neu geschaffen worden.«
»Tatsächlich?«
»Ja, und sie hat den Schutz der Totenwelt.«
»Das war nicht das, was ich wissen wollte. Wie ist sie denn geschaffen worden?«
»Aus Leichenteilen, John Sinclair.«
Diese Antwort hatte nicht der Killer gegeben, sondern eine Frau, deren Stimme ich gut kannte.
Auf der Stelle fuhr ich herum und schaute - ebenso wie Jane - zur Tür hin.
Wie vom Himmel gefallen stand dort Karina Grischin!
***
Wenn das keine Überraschung war, gab es keine mehr auf der Welt.
Mir verschlug es wirklich die Sprache, und das kommt nicht oft vor.
Ich kannte Karina Grischin gut, sie war zu einer Freundin geworden.
Zusammen mit Wladimir Golenkow lebte sie in Russland, und sie ging dort dem gleichen Job nach wie ich hier in London.
Jane hatte ihre Sprache zuerst wiedergefunden. »Du, Karina?«
»Ja, ihr irrt euch nicht.«
»Aber wo kommst du her?« Die Russin mit den braunen Haaren, auf denen jetzt eine Pelzmütze saß, lächelte. »Das werde ich euch später sagen, aber ich bin froh, euch getroffen zu haben.«
Sie ging auf Jane zu und umarmte sie.
»Bist du allein?«, fragte Jane.
»Ja, Wladimir ist in Russland geblieben, obwohl ihn der Fall auch sehr interessiert.« Mehr sagte sie nicht. Zunächst kam sie zu mir, um auch mich zu umarmen. »Geht es dir gut, John?«
»Ja, noch.«
»Das freut mich.« Sie ließ mich los. Dann schaute sie auf die beiden Killer und nicke. »Um sie wäre es nicht schade gewesen. Es sind Auftragskiller.«
»Die aber nicht mit dieser Surina zusammenarbeiten, oder?«
»So ist es, John.«
»Und wie sehen die Zusammenhänge aus? Ich habe das Gefühl, in einem Wirrwarr loser Fäden zu stehen. Ich komme da nicht mehr mit, wenn ich ehrlich bin.«
»Es ist auch nicht leicht.« Sie deutete auf die beiden Killer, die nichts mehr begriffen. Das jedenfalls war ihnen anzusehen. Sie stierten uns an, ohne uns richtig wahrzunehmen.
»Bleiben wir am besten bei Surina«, sagte ich.
Jane nickte. »Das würde ich auch meinen.«
Mir brannte eine Frage auf dem Herzen, die ich rasch loswerden wollte.
»Ist sie tatsächlich eine Kunstfigur? So etwas wie Frankensteins Monster?«
»So ähnlich kann man es sehen. Sie hat auf ihre Weise tatsächlich den Tod überwunden. Es gab da einen Menschen, der Leichenteile gesammelt hat und das aus ihr machte, was sie jetzt ist. Sie hat alles, nur keine Seele, die konnte man ihr nicht geben. Aber dafür hat man ihr den Weg in die Totenwelt gezeigt, die sie auch wieder verlassen kann. In ihr steckt der Geist der Hölle, und es gibt sie schon recht lang, wobei ihr Erschaffer nicht mehr lebt.«
»Wer war das?«
»Es war ein Mönch, dessen Name dir nicht ganz unbekannt sein sollte, John. Rasputin!«
Ich stieß einen Pfiff aus. »Der Magier und Hexer am Zarenthron! Ich wusste nur nicht, dass er auch in Frankensteins Gefilden geräubert hat.«
»Er hat vieles getan, wovon die meisten Menschen nichts wissen, was auch besser ist. Manche glauben, dass er noch lebt. Das will ich mal dahingestellt sein lassen. Ich habe ihn auch noch nicht gefunden. Allerdings diese
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