1605 - Blutnacht - Liebesnacht
ihre Hände aus den wärmenden Taschen, um die Finger des Mannes zu ergreifen.
Sie waren eiskalt!
***
Das wäre kein Problem für die Polizistin gewesen. Bei dieser Witterung musste eine Hand einfach kalt sein, aber diese Kälte war eine andere.
Eine, die man nicht der Außentemperatur zuschreiben musste.
Anne wusste auch nicht, wie sie sie hätte beschreiben sollen. Sie war so trocken und gänzlich ohne Gefühl. Ihr schoss durch den Sinn, dass es eine gewisse Totenkälte war, die dann zu diesem Ort passte, doch den Gedanken schob sie schnell wieder zur Seite. Sich damit zu beschäftigen, gefiel ihr überhaupt nicht.
Darius schaute sie an. Sein Blick wollte sie gar nicht loslassen. Er bannte sie. Und er hielt zudem ihre Hand fest.
Anne wollte dem Blick nicht ausweichen. Das hätte sie als Schwäche ausgelegt, und so blickte sie in seine Augen, die unter den buschigen Brauen lagen. Sie waren nicht nur dunkel, sie waren auch noch düster, und Anne hatte das Gefühl, als läge in ihnen etwas Besonderes verborgen, das einmalig war.
Er war kein schöner Mann. Aber von ihm ging eine gewisse Faszination aus, der sich auch Anne nicht entziehen konnte. Allerdings bekam sie keine weichen Knie. Ein gewisses Misstrauen blieb schon vorhanden, und sie wollte endlich wissen, warum sich dieser Darius ausgerechnet diesen Treffpunkt ausgesucht hatte.
Nach ein paar weiteren Sekunden ließ er ihre Hand los, und Anne konnte wieder normal durchatmen.
»Schön, dass du gekommen bist.«
Sie hob die Schultern. »Es war schließlich so verabredet. Oder etwa nicht?«
»Ja, ja…«, erwiderte er gedehnt. »Ich wundere mich nur, dass du gekommen bist. Und dann noch zu einem derartigen Ort.«
In seinem hageren Gesicht verengten sich die Augen. Die strichdünnen Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln. »Und du hast keine Angst?«
»Doch.«
»Toll, dass du es zugibst.«
»Aber meine Neugierde war stärker. Ich wollte einfach herausfinden, was das für ein Mensch ist, der mich zu einem ersten Treffen in einer bitterkalten Nacht auf einen Friedhof bestellt. Das ist entweder originell oder völlig abgefahren.«
»Vielleicht beides.«
Sie hob die Schultern. »Kann auch sein. Aber ich würde gern von dir erfahren, wie du dir ein weiteres Vorgehen vorgestellt hast. Willst du hier auf dem Friedhof bleiben oder gehen wir irgendwohin, wo es wärmer ist und man einen kleinen Schluck nehmen kann? Es gibt in der Nähe ein Hotel mit einer gemütlichen Bar. Ich denke, da unterhält es sich besser.«
»Das stimmt schon.«
»Super. Dann…«
Er hob seine Hand und drehte Anne die Fläche zu. »Nein, nein, so meine ich das nicht.«
»Wieso?«
»Ich würde gern hier auf dem Friedhof bleiben.«
Dieser Vorschlag verschlug Anne die Sprache, was bei ihr selten vorkam. »Das ist doch nicht wahr, oder? So etwas kann nicht dein Ernst sein. Erst diese Umgebung und dann die eisige Kälte. Für ein Treffen ist das nicht das Richtige. Das finde ich zumindest.«
»Ich nicht. Ich hatte gehofft, dass du da anders denkst.«
»Und wie?«
»Dass du Friedhöfe magst und sie als Treffpunkt akzeptierst.«
»Das habe ich ja auch. Aber ich will hier nicht herumstehen und mir wer weiß was abfrieren.«
Er lachte leise. »Du frierst?«
»Du nicht?«
»Nein!«
Anne winkte ab: »Das kannst du mir nicht erzählen. So dünn wie du angezogen bist.«
»Ich friere tatsächlich nicht.« Er öffnete seinen Mantel, sodass er aussah wie ein Umhang.
Anne verstand die Welt nicht mehr. Sie hätte eigentlich lachen wollen, wäre da nicht ein tiefes Misstrauen gewesen, das in ihrem Innern hochgestiegen war. Sie kannte diesen Mann noch nicht lange, aber immerhin lange genug, um zu wissen, dass mit ihm etwas nicht stimmte.
Seine Reaktionen waren alles andere als normal, und ihr Gefühl für eine Gefahr wurde allmählich stärker. Es konnte durchaus sein, dass es sich bei ihm um einen Perversen handelte, der erst am Beginn seiner Taten stand.
»Wieso frierst du nicht?« Sie reckte ihr Kinn vor. »Jeder Mensch, den ich kenne, friert bei diesen Temperaturen.«
»Stimmt.«
»Also dann…«
Darius ließ sie nicht ausreden. »Und wenn ich kein Mensch bin? Was sagst du dazu?«
»Das ist Quatsch.«
Er lächelte dünn. »Meinst du?«
»Und ob ich das meine. Ich jedenfalls habe keine Lust, länger hier herumzustehen. Du kannst es dir ja überlegen. Ich werde jetzt gehen. Solltest du Lust haben, kannst du mich begleiten.«
»In das Hotel?«
»Ja, und dort an die Bar.«
Er
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