1606 - Die Zeit-Bande
Dienst tätig. Damals zu meiner Zeit, das war noch vor dem ersten großen Krieg.«
So sah er auch aus. Das konnte alles stimmen, was er mir da erzählte, aber er hätte längst tot und vermodert sein müssen. Stattdessen stand er hier, als wäre er nie gestorben und nur deshalb gekommen, um einen neuen Job auszuführen.
Das war schon leicht verrückt. Lord Lipton war schon etwas Besonderes und Ungewöhnliches. Ich hatte auch festgestellt, dass er nicht zu atmen brauchte. Kein Luftholen, kein Ausstoßen des Atems, da war einfach nichts, und das ließ darauf schließen, dass dieser Lord kein normaler Mensch war, und mir schoss durch den Kopf, dass es sich um einen Zeitreisenden handeln konnte.
Der Zug rollte auf die nächste Station zu. Es wurde abgebremst, was in leichten Intervallen geschah, sodass der Mann vor mir leichte Probleme mit dem Gleichgewicht bekam.
Ich zögerte keine Sekunde länger. Mit einer blitzschnellen Bewegung warf ich mich nach rechts und fiel dabei in den schmalen Mittelgang hinein, der mir leider wenig Platz bot. Ich brauchte auch nicht viel, denn ich wollte nur die Beretta ziehen.
Das schien auch Lord Lipton zu wissen. Er riss seinen Säbel hoch und stieß zu.
Gleichzeitig stoppte der Zug!
***
Johnny Conolly vergaß zwar nicht das Atmen, er glaubte nur, sich in einem anderen Film zu befinden, und konnte nichts anderes tun, als die Person anzustarren, die vor ihm stand und die in dieser Kälte so ungewöhnlich dünn gekleidet war.
Sie trug Jeans, deren oberer Rand unter dem Bauchnabel endete, der freilag. In den Schlaufen steckte ein Gürtel, deren Schnalle einen Totenschädel zeigte. Ein schwarzes T-Shirt war nicht lang genug, sodass dieses Stück Haut frei blieb. Bis zum Ellbogen hin war der rechte Arm mit Metallreifen bedeckt. Auch der linke Arm war geschmückt, denn dort schimmerten Bänder in verschiedenen Farben.
Dunkle Haare wuchsen auf ihrem Kopf. Sie standen zu beiden Seiten ab.
Nichts fiel in ihr Gesicht, dessen Augenbrauen zu dunkel waren, um echt zu sein. Da musste sie nachgeholfen haben. Eine kleine Nase, darunter ein Schmollmund, ein weiches Kinn und eben diese Augen, die so kalt und gefühllos blickten, dass Johnny erschauderte.
Und noch etwas fiel ihm auf. Sie atmete nicht. In der Kälte hätte der ausgestoßene Atem vor ihren Lippen zu sehen sein müssen. Das war nicht der Fall, und so kam Johnny ein schrecklicher Verdacht, den er allerdings noch zurückdrängte, weil ihm plötzlich ein anderer Gedanke gekommen war.
Er kannte diese Person. Er hatte sie schon mal gesehen. Allerdings hatte er ihr nicht persönlich gegenübergestanden. Es konnte durchaus sein, dass er über sie gelesen hatte, was noch nicht lange zurücklag. Da hatte er auch ein Bild von ihr gesehen.
Johnny riss sich zusammen. Er wollte vor allen Dingen keine Furcht zeigen und war froh, dass seine Stimme normal klang, als er fragte: »Wer bist du?«
Bekam er eine Antwort oder nicht?
Ja, er bekam sie. Sie wurde mit einer Stimme gesprochen, die zwar menschlich klang, aber doch irgendwie anders war. So metallisch oder künstlich.
»Kennst du mich nicht?«
Johnny hob die Schultern. »Ich weiß nicht. Ich denke nach. Es kann schon sein.«
»Ich bin Suri Avila!«
Das war eine Antwort, mit der er etwas anfangen konnte. Der Name war so ungewöhnlich, dass man ihn einfach behalten musste, und Johnny glaubte auch, dass er ihm nicht neu war. Er musste ihn schon mal gelesen haben.
»Denkst du nach?«
»Ja.«
»Und du kommst zu keinem Ergebnis?«
»Nein.«
»Dann will ich dir helfen. Suri Avila ist diejenige, die ihre Eltern getötet hat.«
Auf einmal war die Erinnerung da. Johnny nickte. Er flüsterte etwas, weil ihm die Grausamkeit des Falls eingefallen war, der damals - vor etwa einem Jahr - die Menschen erschüttert hatte.
Suri Avila hatte ihre Eltern umgebracht. Und das auf eine besonders perfide Weise. Sie hatte ihre Muter neben ihrem Vater im Garten vergraben. Allerdings nicht als Tote, denn später war festgestellt worden, dass die beiden noch am Leben gewesen waren. Und es hatte Spuren gegeben, die eindeutig auf die Tochter als Täterin hingedeutet hatten.
Sie hätte verhaftet und vor Gericht gestellt werden sollen. Dazu war es nicht gekommen, denn Suri Avila hatte sich rechtzeitig genug aus dem Leben verabschiedet und sich die Pulsadern aufgeschnitten. In einer Badewanne war sie gefunden worden, inmitten des ausgelaufenen Bluts, das das Wasser rot gefärbt hatte.
Der Fall war durch die
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