1606 - Die Zeit-Bande
anderes.«
»Warum?«
»Man hat mich aus meiner Zeit hervorgeholt und in die Zukunft gestellt. Es waren Kräfte am Werk, denen du bestimmt nicht folgen würdest, so wie ich dich einschätze.«
»Und was macht dich so sicher?«
»Weil wir beide auf zwei verschiedenen Seiten stehen. Du auf der dunklen, ich auf der des Lichts. So sind die Dinge verteilt, und wir stehen uns heute eben so feindlich gegenüber wie früher. Das solltest du nicht vergessen, Randolf.«
»Keine Sorge, das weiß ich. Aber jetzt bin ich zurück.« Er lachte. »Ich habe ebenfalls gewonnen. Der Strahl der Zeit hat mich zu dir gebracht, mein Freund.«
»Ein Zeitstrahl?« Godwin schüttelte den Kopf. »Woher stammt er? Wer hat ihn geschaffen?«
»Ein mächtiger Helfer. Ich sage nur, dass es der große Landru gewesen ist.«
»Den Namen kenne ich nicht.«
»Das weiß ich. Nur wenige Auserwählte kennen ihn. Er ist ein Herrscher der Zeiten. Diejenigen, die ihm nahestehen, die beschützt er. So wie mich.«
»Und was hast du jetzt vor, Randolf?«
»Zwischen uns steht noch eine Rechnung offen, die wir begleichen müssen.«
»Das ist wohl wahr.«
»Dann kannst du dir sicher vorstellen, dass ich gekommen bin, um dich zu holen.«
Das hätte er Godwin nicht erst zu sagen brauchen. Sie waren damals Feinde gewesen, und daran hatten auch die vergangenen Jahrhunderte nichts geändert. Manchmal heilte die Zeit eben nicht alle Wunden.
Godwin wusste auch, dass sein Gegenpart einen Vorteil auf seiner Seite hatte. Er war bewaffnet. Der Templer war es nicht. Und er erinnerte sich daran, wie geschickt Randolf von Eckenberg mit seinem Schwert umgegangen war. Er hatte zu den kühnsten Kämpfern gehört, und er hatte sicherlich nichts vergessen.
Eines allerdings beschäftigte Godwin viel mehr. Wie war es dem andern nur möglich gewesen, die Zeiten zu überbrücken und noch zu leben?
Für Randolf schien es wichtig zu sein, dass der Zeitstrahl erhalten blieb.
Er hatte sich bisher stets in ihm bewegt und ihn nicht einmal verlassen.
Deshalb wollte Godwin alles vermeiden, um selbst in den Strahl zu gelangen.
Randolf von Eckenberg hatte genug geredet. Sein Kopfschütteln war kein Zeichen dafür, dass er aufgeben wollte. Im Gegenteil, es war so etwas wie ein Startsignal für ihn. Hinzu kam ein kurzer Ruck mit dem Schwert, dann setzte er sich in Bewegung.
Erst jetzt verspürte der Templer eine gewisse Unsicherheit. Er sah nicht genau, ob dieser Ritter mit seinen Füßen überhaupt den Boden berührte.
Zwar bewegte er die Beine, aber es war kein Geräusch zu hören. Dabei hätte der harte Schnee anfangen müssen zu knirschen, wenn die dünne Eisschicht brach.
Auch das war nicht der Fall, sodass Godwin immer stärker zu der Überzeugung gelangte, dass dieser Ritter aus der Vergangenheit möglicherweise beides war. Stofflich und feinstofflich.
Der Templer spielte mit dem Gedanken, das Fenster zu schließen. Doch er glaubte nicht daran, dass ein geschlossenes Fenster für diese Gestalt ein Hindernis sein würde.
So ließ er es offen, denn der Kampf zwischen ihm und Randolf würde unausweichlich sein.
Auch Godwin war im Schwertkampf geübt. Nur musste er in der Zeit, in der er nun lebte, keinen Gebrauch davon machen. Da gab es andere Waffen. Ein Schwert hatte er nicht zur Hand. Es war zumindest nicht in der Nähe. Er besaß es noch, aber es lag in der Asservatenkammer des Klosters verborgen, und da kam er so schnell nicht hin.
Eine Pistole?
Ja, es wäre eine Möglichkeit gewesen, eine Kugel in die Gestalt zu jagen. Zudem lag die Waffe hinter ihm in seinem Arbeitszimmer in einer Schublade.
Er wich zurück - und erlebte das nächste Phänomen. Der helle Strahl musste so etwas wie ein Wunderpfad sein, der zwar eine gewisse Länge und auch Breite hatte, aber nicht den Regeln der Dreidimensionalität folgte, denn normalerweise hätte Randolf nach den paar Schritten nicht so weit sein können, wie er es tatsächlich war. Eine andere Macht oder Kraft schien ihn vorangetrieben zu haben.
Er schwebte über der Fensterbank hinweg und stand plötzlich im Raum.
Wäre Godwin nicht schon vorher zurückgewichen, hätte er von der Klinge jetzt schon erwischt werden können.
Beide sahen sich aus der unmittelbaren Nähe.
Nein, das war auf keinen Fall das Gesicht eines Toten. Da war keine Haut aufgeplatzt und da schimmerten auch keine Knochen durch. Es stand ein völlig normaler Mensch vor ihm, wenn auch mit einem zerfurchten Gesicht, das durch Narben entstellt
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