1610 01 - Der letzte Alchimist
verstanden, warum der eine Engländer als Gentleman galt und der andere als Bauer.
Der Junge führte mich nach Norden. Das Land im Süden war voller Apfelbäume, deren weiße Blüten das Gras bedeckten. Insgesamt war das Land hier jedoch nicht so kultiviert wie weiter im Süden, von wo wir gekommen waren. Wir stiegen den Pfad von der Mühle zur Höhle hinauf. Ich dachte darüber nach, dass mir an diesem Abend kein Bursche zur Verfügung stand, um mir den Dreck von den Stiefeln zu putzen. Edward Field machte eine Bemerkung über den ungewöhnlich späten Frühling, brach einen Zweig von einer Haselnusshecke ab, an der wir vorüberkamen, und steckte ihn sich ins Knopfloch.
Ich deutete auf sein rotbraunes Wams. »Habt Ihr das aus einem besonderen Grund gemacht, Monsieur?«, fragte ich.
»Nein. Warum, Master?« Er begann, über die Apfelplantagen zu plappern, das Beschneiden von Bäumen und den Bach, der das Mühlrad antrieb … Er redete über alles, nur nicht über das, was meiner Auffassung nach eindeutig mit bäuerlichem Aberglauben zu tun hatte. Der Gleichmut seines Vaters fehlte ihm offensichtlich.
Sollten die anderen Bauern in der Gegend genauso denken wie dieser Junge, wird es Fludd nicht schwer fallen, sie von der Höhle fernzuhalten.
Mein Interesse an Landwirtschaft ist ausgesprochen gering. Der Pfad zur Höhle hinauf war schmal und voller Feuersteinsplitter und Steine, und Regenwasser rann unter unseren Stiefeln den Hang hinunter. Wenn hier auch nur einen halben Tag lang Höflinge und Diener entlangliefen, würde es der reinste Sumpf sein.
Ich zügelte meine Gedanken. Das geht mich eigentlich gar nichts an.
Das war typisch für jeden Agenten, der ein falsches Spiel spielte: Wenn man sich zu sehr auf etwas konzentrierte, wurde es alsbald wirklich zu einem Problem für einen selbst.
So lenkte ich meine Gedanken in eine neue Richtung: Ich habe mir den Weg hierher gut eingeprägt. Zurück und ohne Wagenzug schaffe ich es in der Hälfte der Zeit.
»Kümmert sich Euer Vater schon lange um die Geschäfte von Doktor Fludd?«, fragte ich in Gedanken an Cecil und dessen unendliche Neugier.
»Die letzten paar Jahre, Sir.«
»Und Eure Druckerpressen sind nicht beschlagnahmt worden?«
»Nein, Sir.«
Er hielt das offenbar nicht für eine seltsame Frage. Ich fragte mich, ob meine Vermutungen darüber, warum Monsieur Fludd eine Papiermühle und Druckerpresse an solch einem entlegenen Ort besaß, unbegründet waren. Das hier war der ideale Ort, um häretische Pamphlete, okkulte Bücher und rebellische Traktate zu drucken …
Nun, ich werde mir mal ein wenig genauer ansehen, was so auf die Pferde und Wagen verladen wird, bevor es wieder zurückgeht. Auch wenn ich keine Beweise für eine Verschwörung würde zusammentragen können, war ich sicher, dass Messire Cecil mit ebenso großer Freude einen schwarzen Magier und politischen Agitator vor Gericht stellen würde.
Der Hügel war hoch und steil, der Weg grün von Gras und rutschig von Moos: Bewaffnete konnten hier nur schwerlich hinauf. Ich warf einen Blick zurück und blieb kurz stehen, um Luft zu holen. Die Mühle selbst konnte leicht eingenommen werden. Außerdem war die Straße besser als an den meisten Bauernhöfen, an denen wir vorbeigekommen waren, da ja auch ständig Transportkolonnen hier eintrafen. Kavallerie konnte leicht bis zur Mühle vorstoßen, doch dann war da der Fluss zwischen ihnen und der Höhle …
Du wirst nicht Mylord Cecils Arbeit machen.
Ich lächelte vor mich hin. Aus Gewohnheit, und weil ich das schon oft für Messire de Sully gemacht hatte, prägte ich mir alle Einzelheiten ein, weil man nie wusste, wozu es gut sein mochte.
Wir stiegen den steileren Teil des Pfads empor. Er führte auf eine flache, weite Fläche vor einer Felswand. Der Höhleneingang war dunkel, einfach und größer, als ich erwartet hatte.
»Hier, Master.« Ned Field holte zwei Pechfackeln aus seiner Tasche, zündete sie an und reichte mir eine. Ich folgte ihm hinein. Das Licht wurde trübe, und ich blieb kurz stehen, damit meine Augen sich daran gewöhnen konnten. Unmittelbar hinter dem Höhleneingang wehte mir kalte Luft ins Gesicht. Irgendwo tropfte Wasser, und das Geräusch hallte laut von den Wänden wider. Meine Stiefel rutschten über den mit Moos bedeckten Fels. Ich hob die Fackel und sah vor uns einen steil abfallenden Pfad. Schatten tanzten über die rauen Wände.
Der Fieldjunge schloss die Hand um den Haselnusszweig. Als er ihn wieder losließ, sah ich
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