1610 02 - Kinder des Hermes
knarrte und rumpelte, wandte ich mich praktischeren Fragen und damit dem jungen Field zu. »Ich habe ausprobiert, wie lange es dauert, von unten nach oben zu gehen. Die königlichen Herrschaften werden ihr Essen kalt bekommen, sollten sie auf die Mühlenküche angewiesen sein. Aber das ist nichts Neues bei solchen höfischen Festen. In Fontainebleau ist es genauso.«
»Sir.« Ned Field nickte und murmelte vor sich hin; so dauerte es eine Weile, bis ich die Worte verstand. »Euer Schneider sucht nach Euch, Monsieur Herault, Sir.«
Idealerweise sollten andere Menschen weder meine Größe noch mein Gesicht zuerst bemerken; beides erleichterte die Identifikation, was nicht gerade nützlich für einen Spion war. Auffällige Kleidung war da schon besser, lenkte sie doch von allem anderen ab. Ich hatte einen Schneider angeworben, der mit den Schauspielern gekommen war, und ihm (trotz seiner Proteste ob der unfertigen Kostüme) befohlen, mir einen laubgrünen Satinanzug mit goldenen Seidenbändern und Knöpfen zu schneidern sowie ein auffällig geschlitztes Wams. Eine letzte Anprobe war alles, was noch fehlte. Hatte ich dann die Federn an meinem Hut in der gleichen Farbe gefärbt, sollten Fludds Männer endgültig in mir nur noch den geckenhaften Franzmann sehen. Auch das würde nicht schaden.
»Er will mich sehen? Gut.« Ich klopfte dem jungen Field auf die Schulter und machte mich in die Richtung auf, in die er deutete. Anfragen auf dem Weg zu den Zelten speiste ich mit einem höflichen »Später« ab. Ich hatte es mir zur Gewohnheit gemacht, immer mal wieder durchs Lager zu gehen, sodass die Männer nichts Ungewöhnliches dabei empfanden, mich zu den unmöglichsten Stunden zu sehen. Ein paar meiner Wanderungen hatten mich auch nach Süden geführt, in die Sümpfe und Marschen der Levels. Dann wieder war ich nach Wells gegangen oder nördlich um den Hügel von Wookey herum zu der Felsschlucht dahinter. Dadurch hatte ich auch Kontakt zu Hauptmann Spofforth aufnehmen können. Ein Mann, der immer überall ist, ist nirgends verdächtig.
Aber wo zum Teufel soll ich mit der Suche nach Mademoiselle Dariole anfangen?, dachte ich. Ging ich vom Unwahrscheinlichsten aus, war sie ihren Häschern vielleicht entkommen und nach Frankreich zurückgekehrt. Ich konnte es ihr wohl kaum übel nehmen, sollte sie von England und meinen Angelegenheiten die Nase voll haben. Auch war sie ungestüm genug zu glauben, die Königin hätte keinerlei Interesse an ihr. Vielleicht befand sie sich ja bereits wieder auf den Gütern der Familie de la Roncière …
Die englische Sonne strahlte heiß auf meinen Rücken. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. Meine Gedanken wanderten von Maria di Medici zu meinem Herrn, dem Herzog, über den ich seit einem Monat nach Heinrichs Tod keine gesicherten Informationen mehr hatte – nur Cecils Erklärung, der englische Gesandte habe sich kurz mit ihm im Arsenal getroffen und eine Warnung weitergegeben.
Derart von einem einzigen Gönner abhängig zu sein, war ein weiterer Grund, warum mir meine Position in England missfiel, dachte ich bei mir im Gehen.
Gedankenverloren bemerkte ich den Schneider gar nicht, bis der kleine Mann mir auf den Ellbogen klopfte. Ich blieb stehen. Der Mann keuchte und lächelte.
»Ich werde Euch bezahlen, sobald alles fertig ist«, sagte ich instinktiv, wie man es meist bei Kaufleuten und Handwerkern tut. Der Name des kleinen Mannes war mir entfallen. Ich erkannte ihn hauptsächlich an dem blassroten Mal auf seiner linken Wange. »Und? Ist alles fertig?«
»Monsieur kann die Sachen morgen um diese Zeit haben. Aber deswegen bin ich nicht gekommen, Sir. Ich dachte, Ihr würdet vielleicht wissen wollen … Ein Landsmann von Euch ist gerade aufgetaucht. Er spricht Französisch wie Ihr, Sir.«
Ein Mann, der in Wookey spioniert und Französisch spricht …?
Und mit ungestümer Fröhlichkeit fügte der Schneider hinzu: »Da habe ich mich gefragt, ob Ihr ihm mich vielleicht empfehlen könntet, Sir. Seine Kleider waren nicht gerade das, was man ›höfische Mode‹ nennen würde.«
Die Medial, dachte ich sofort, zuerst mit kalter Wut, dann mit wilder Freude. Die Königin hat doch noch herausgefunden, wo ich bin, und einen Mann geschickt, um mich zu töten.
»Wo?«
Der Blick des Schneiders haftete an meinem zwölften Knopf; vermutlich tat es ihm im Nacken weh, zu keinem größeren Mann hinaufblicken zu müssen. Der harte Tonfall meiner Frage ließ ihn unwillkürlich zusammenzucken.
Weitere Kostenlose Bücher