1610 02 - Kinder des Hermes
verwechselt hatte, dass das alles nur ein Irrtum war.
Sie stieß abermals zu, diesmal nach meiner Brust.
Ich warf mich hart genug mit der Schulter gegen die Holzwand, dass der Schwung mir half, mich aufzurichten. Das Gewicht auf dem linken Bein, nahm ich so gut es ging Fechthaltung ein. Ich parierte den Stoß und schabte mir den Daumen an ihrer Parierstange auf.
Dem Tode so nah rann mir salziger Schweiß in die Augen. Ich spürte, wie sich Blut in meiner Hose sammelte. Doch da war nicht dieses Pochen wie von einer verletzten Schlagader. Ich bin also doch noch nicht ganz tot … noch.
»Was tust du da?«, rief ich, wehrte die Stöße und Hiebe ab und zog mit der anderen Hand instinktiv den Dolch. Und doch kann ich sie nicht verletzen. Die Wand in meinem Rücken hielt mich aufrecht. »Dariole! Hör auf!«
Wieder ließ das Licht die Klinge funkeln, als sie emporgerissen wurde. Ich roch Blut, mein Blut, und es schnürte mir die Kehle zu. Dariole stieß unter meiner Hand hindurch.
Stoff riss auf meinem Bauch, und aus einem wilden Reflex heraus schlug ich das Rapier mit meinem Dolch beiseite. All meine Muskeln waren angespannt, während ich darauf wartete, dass mein Bauch sich öffnete und die Gedärme hervorquollen …
Kein Schmerz.
Am unteren Rand meines Sichtfeldes sah ich die aufgeschlitzte Wolle unter meinem Gürtel; die Füllung quoll aus der zerfetzten Pluderhose.
Dariole trat einen Schritt näher. Nun sah ich ihr Gesicht in dem braun-goldenen Licht. Sie hatte die Stirn in Falten gelegt wie ein Kind beim Schulunterricht. Mir blieb keine Zeit, daran zu denken, dass ich hier um mein Leben kämpfte. Ihr Schwert flog bereits aus dem Stroh und auf meinen Unterleib zu.
Ich fing ihre Klinge mit meiner ab und zwang sie wieder nach unten. Dabei lenkte ich ihre Waffe so, dass unsere Parierstangen sich schließlich treffen mussten. So hätte ich dann den nötigen Hebel, um sie entweder zu entwaffnen oder die Klinge zu brechen …
Doch bevor es dazu kommen konnte, stieß Dariole mit dem Dolch durch meine Faustbügel und ritzte das dicke Leder meines Handschuhs, bevor sie mit aller Kraft von außen gegen mein rechtes Bein trat.
Vor lauter Schmerz konnte ich weder etwas sehen noch denken.
Der Schmerz in meinen Händen sagte mir nicht, dass ich fiel, und ich war viel zu desorientiert, als dass ich die Erde unter mir erkannt hätte. Mein Dolch war weg, mein Schwert ebenfalls. Ich schnappte nach Luft und drehte mich zur Seite, sodass ich nicht auf meinem verletzten Bein liegen musste …
»Du gottverdammter Hurensohn!«
Darioles Stimme, die Stimme von Arcadie de Montargis de la Roncière, zischte mich an, doch von wo vermochte ich nicht zu sagen. Vor mir? Hinter mir? Mit Hilfe des linken Beins kroch ich zur Wand, um wenigstens im Rücken geschützt zu sein.
Ich setzte den rechten Fuß auf den Boden, um mich in die Höhe zu drücken.
Blut quoll in meinem Stiefel, und der Schmerz schoss mir so heftig vom Knie bis in die Hüfte hinauf, dass ein Schrei aus meiner Kehle drang. Ich sackte wieder zu Boden.
»Du hast es mir nie gesagt.« Darioles flüsterte. »Du hast mir nie gesagt, dass er mich als Geisel benutzen könnte.«
Dem Klang ihrer Stimme nach zu urteilen, war sie jenseits der Wut. Ich konnte nichts sehen. Langsam erkannte ich auch warum, und so wischte ich mir rasch die Schmerzenstränen aus den Augen.
Sonnenlicht flutete in die staubigen Schatten des Mühlenstalls. Ich lag mit dem Rücken an der Wand. Inzwischen war ich dem Ausgang deutlich näher gekommen, und Dariole stand voll im Licht.
Sie stach mit dem Rapier nach meinem Gesicht. Ein Sonnenstrahl erhellte ihr Gesicht. Sie hatte die Zähne zu einem wahnsinnigen Grinsen gefletscht.
Grunzend und ohne Schwert oder Dolch schlug ich wild mit den Armen um mich und betete, dass die schwere Wolle, aus der mein Wams bestand, wenigstens einen Teil des Stoßes abfangen würde. Achtzehn Zoll ihrer Klinge, von der Spitze bis zur Kehle, trieften von dunklem Blut. Ich verkrampfte mich in dem Versuch, ihr auszuweichen. »Dariole!«
Stoff riss an meinem rechten Arm. Dort, wo ich hockte, konnte ich weder richtig sehen noch die Gefahr einschätzen oder aufstehen. Darioles Schwertspitze drang in meinen Bizeps kurz unterhalb der inzwischen verheilten Narbe von Fludds Hieb.
Ich werde hier sterben, dachte ich mit solch vollkommener Klarheit, dass ich keine Angst mehr empfand. Stattdessen fühlte ich beunruhigenderweise sogar Erleichterung. Der Todeswunsch des
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