1610 02 - Kinder des Hermes
los und trat von mir weg.
»Weißt du was? Das hier …« Sie riss das neue englische Rapier wieder hervor und wedelte damit im Sonnenlicht. »Das hier ist vollkommen egal. Das ist nur eine Täuschung. Es ist nie da, wenn du es … Es ist nichts! Es kann gar nichts! Wo war es denn, als ich es gebraucht hätte?«
Sie trat einen Schritt zurück und in den Hof hinein. Meine linke Seite fühlte sich plötzlich kalt an. Ich verstärkte meinen Griff um den Türpfosten, doch zu spät. Ich brach zusammen, und Blut aus meinem Bein sickerte zwischen meinen Fingern hindurch. Gleichzeitig kam der Schmerz, und der Schweiß trat mir auf die Stirn.
»Weißt du was?«, knurrte Dariole.
Sie drehte sich um, und ich glaubte schon, die verschmutzte Klinge würde mir jeden Augenblick durchs Herz fahren.
» Scheiß auf das Ding hier!«
Dariole senkte die Spitze auf das Hofpflaster und stellte den Fuß auf die Klinge.
Ich schrie. Im selben Augenblick trat sie nach unten und riss das Heft nach oben.
Das geschmiedete Metall brach mit einem Knall wie ein Pistolenschuss, nur sechs Zoll vom Ricasso entfernt.
Rochefort: Memoiren
Vierundzwanzig
Ich hatte sie nie so stehen sehen wie jetzt: die Schultern hochgezogen, den Kopf gesenkt. Dreißig Herzschläge lang starrte sie auf das zerbrochene Schwert.
Langsam bückte sie sich und hob die Klingensplitter vom Boden auf.
»Er hätte es wissen müssen«, sagte sie erschöpft. »Er hätte wissen müssen, dass es dir egal ist, wenn er mich entführt. Hätte er das gewusst, hätte er es nicht getan. Warum hast du es ihm nicht gesagt?«
Das war keine echte Frage, die sie da vor sich hin murmelte; ich beantwortete sie dennoch. Blutend und auf dem Boden kauernd sagte ich schlicht: »Ich denke, er hätte es mir nicht geglaubt, Mademoiselle.«
Das einzige Geräusch um uns herum war das leise, unaufhaltsame Knarren des Mühlrades.
Dariole hob den Kopf und blickte mir in die Augen. Sie straffte die Schultern, das Schwertheft in der rechten, die Klinge in der linken Hand.
»Du lügst aus Angst um dein Leben. Du hättest ihn dazu bringen können, dir zu glauben.«
Sie warf die beiden Schwerthälften nach mir. Sie trafen mich am Bein, und ich verzog vor Schmerz das Gesicht.
»Ich bin vergewaltigt worden«, sagte Dariole. »Nicht ›gefangen genommen‹. Vergewaltigt.«
Sie drehte sich um und verließ den Hof.
Der Mühlenmeister nähte meine Wunde.
Benommen dachte ich, dass ein Mann wie der alte Field bei all den Maschinen und den damit verbundenen Unfällen hier vermutlich ein genauso guter Arzt war wie ein durchschnittlicher Barbier; deshalb ließ ich ihn machen. Er schnitt meine Hose auf und wusch die Wunde mit Wein aus. Anschließend nähte er das zerschnittene Fleisch zusammen. Zum Glück hatte Dariole den Knochen und die Schlagader verfehlt.
Trotz des Branntweins, den der Mann mir gab, übergab ich mich vor Schmerz.
Ich lehnte mich auf dem alten Lehnstuhl zurück, der in einer der oberen Kammern stand, und griff nach dem Glas neben meinem Ellbogen. Blut sickerte durch den Leinenverband an meinem rechten Bein. Benommen dachte ich: Der gute Herr Schneider wird meine neuen Kleider in der Tat heute fertig bekommen müssen.
Einer von Fields Dienern putzte den Boden und öffnete die Fenster. Field selbst packte seine uralten Instrumente zusammen und ging.
Ich blickte zu Saburo hinauf. »Zuerst habe ich geglaubt, sie sei schlicht in ihrer Eitelkeit verletzt gewesen. Dass es sie in ihrem Stolz getroffen hatte, entführt worden zu sein: der ›große Duellant‹ Mademoiselle Dariole …«
Saburo verzog Furcht erregend das Gesicht. »Ein Samurai zerbricht seine Klinge nicht aus verletztem Stolz, nur in Schande, Roshfu-san, noch nicht einmal in der Niederlage, nur in Schande … Schande, wie sie sie an ihrem Leib erfahren hat.«
An ihrem Leib.
Ich fühlte mich taub wie jemand, der sich Ellbogen oder Knie gestoßen hat und nun auf den Schmerz wartet.
»Es ist … nicht ungewöhnlich«, brachte ich mühsam hervor, »dass ein Mann seinem Feind genau das Laster zum Vorwurf macht, das er bei sich selbst nicht erkennt. So war ich schlicht zu eitel. Ich habe tatsächlich geglaubt, dass niemand sie angreifen könne, solange sie bei mir ist.«
Ich griff wieder nach dem grünen Glas und nippte an dem Branntwein. Angesichts der Entschuldigung, die ich noch machen muss, wäre es sicherlich nicht ratsam, mich jetzt zu betrinken …
»Das ist einfach nicht zu entschuldigen, nicht wahr?«, fragte ich
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