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1610 02 - Kinder des Hermes

1610 02 - Kinder des Hermes

Titel: 1610 02 - Kinder des Hermes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Gentle
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langsam in die Höhe. Der heiße Juniwind wehte durch das offene Fenster herein und ließ mich schwitzen. Die Bauern von Wookey und Wells waren sicherlich auf den Feldern, um das letzte Heu des Jahres einzubringen.
    Ich blickte zu Saburo. »Lasst uns ehrlich sein: Eure Angelegenheit ist König James. Ihr habt Mademoiselle Dariole aus Pflichtgefühl hierher begleitet, und auch ich habe anderswo Verpflichtungen: Mit jedem Tag, der vorübergeht, festigt die Königin ihre Macht. Aber Ihr sprecht von ›giri‹ … und Schuld. Mademoiselle Dariole ist fest entschlossen, hier zu bleiben und auf Fludd zu warten. Das Mindeste, was ich tun kann, ist, sie davon zu überzeugen, dass Warten sinnlos ist: Er wird nicht kommen. Und ich … ich kann mich bei ihr entschuldigen, so gut es geht.«
    Saburo legte die Hand – welche für einen Mann recht klein war – auf das Heft seiner Kattanklinge. »Roshfu-san, ich denke nicht, dass sie auf Euch hören wird.«
    »Nein? Nein, da habt Ihr vermutlich Recht. Aber … ich muss einfach mit ihr sprechen.«
    Ich bin ein Mann, kein ungeduldiger Junge. Ich weiß besser als viele, wie unklug es ist, einer Frau nachzustellen, die die Gesellschaft eines Mannes gar nicht will.
    Außerdem wäre es demütigend gewesen, dachte ich. Sie kann schneller rennen, als ich humpele.
    Und ich musste nachdenken.
    Die nächsten Stunden verbrachte ich allerdings erst einmal sitzend auf einem Hocker, das Bein auf einen weiteren gelegt, und schlichtete die Streitereien, die über die Konstruktion der Bühnenmaschinerie in der großen Höhle ausgebrochen waren. Anschließend überwachte ich die Proben. Da ein Großteil der Kompanie in London geblieben war, um Die Viper und ihre Brut zu lernen, mussten die verbliebenen Schauspieler zwei, manche auch drei Rollen in dem Maskenspiel übernehmen. Tatsächlich erinnerte mich die Erfahrung, die ich hier sammelte, an das, was ich bei Belagerungsarbeiten in den Niederlanden erlebt hatte – viel Zimmerei, große Verwirrung und nie genug Männer, die für eine bestimmte Aufgabe geeignet sind. Als einer der jungen Schauspieler auf den Saum seines Kostüms trat und es damit zum dritten Mal zerriss, sinnierte ich: Wenigstens schießt hier niemand auf uns …
    »Aber vielleicht«, murmelte ich, »freue ich mich da auch ein wenig zu früh.«
    Lindsey, Alleynes junger Stellvertreter, sagte: »Bitte?«
    »Ich habe nur laut gedacht, Monsieur.« Meine Entscheidung war getroffen, und ich winkte ihn zu mir. »Übernehmt hier bitte für mich. Ich habe noch andere Dinge zu erledigen.«
    Trotz des Gehstocks ermüdete es mich, durch die schmalen Gänge zu humpeln, über die von den Zimmerleuten gebauten Holzbrücken und raus in die Hitze des Tages. Erst schleppte ich mich in mein Zimmer und dann ins Zeltlager. Ich wusste, wo ich Dariole finden würde: im Zelt der ›Kabukispieler‹, wie Monsieur Saburo sie nennt.
    Der trockene Boden war steinhart, und mit jedem Schritt fuhr neuer Schmerz durch mein Bein. Aus Erfahrung wusste ich, dass die Wunde noch zu frisch war, als dass ich den Schmerz einfach so hätte verdrängen können.
    Erst muss ich ihn ertragen, bevor ich ihn verdrängen kann.
    Ich hatte meine Hose am Knie nicht zugebunden, sodass ich darunter ein dickes Polster tragen konnte, und auch am Bund hatte ich entsprechend Luft gelassen. Das Ergebnis war, dass bei meiner Ankunft im Lager alles verrutscht, und mein neues Seidenwams vollkommen durchschwitzt war.
    Ich nahm mir einen Augenblick Zeit, um mich zu sammeln. Dann stellte ich das Päckchen, das ich mitgebracht hatte, an der Wand des Schauspielerpavillons ab. Schließlich öffnete ich die Zeltklappe und trat ein. Zwei der jüngsten Schauspieler würfelten miteinander und kicherten fröhlich vor sich hin.
    »Und ab zu Monsieur Alleyne, wenn es Euch beliebt.« Mein Blick reichte aus, damit sie fluchtartig das Zelt verließen.
    Mademoiselle Darioles Stimme durchbrach die darauffolgende Stille. »Falls Ihr das seid, Rochefort, so könnt Ihr Euch gleich wieder verpissen.«
    »Du …« Ich beherrschte mich. »Ihr wisst, dass ich es bin, Mademoiselle.« Das Sonnenlicht, welches durch die gebleichte Zeltwand fiel, ließ das gesamte Innere schimmern wie Perlmutt. Dariole hockte zusammengerollt zwischen Kissen, Decken und Stapeln aufgeschlagener Pamphlete in einer Ecke des Zeltes und schaute mich über die Schulter hinweg an. In dem gefilterten Licht wirkten ihre Augen kalt.
    »Ich habe gesagt: Verpisst Euch!«
    »Ich habe Euch schon

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