1610 02 - Kinder des Hermes
dem König aufzutreten.«
Dariole lehnte sich an die Kalksteinwand des Höhleneingangs und wedelte gelassen mit der Hand. »Oh, kümmert Euch nicht um mich …«
Nach dem Lachkrampf, der sie fast zu Boden geworfen hatte, klang ihre Stimme fast atemlos.
»Nein, ich schwöre!«, fügte sie hinzu. »Ich weiß Messire Rocheforts Engagement durchaus zu schätzen – wirklich.«
»Das solltet Ihr auch«, bekräftigte Alleyne.
So weit ist es also schon gekommen, dachte ich düster. Jetzt muss ich mich schon von einem Theaterbesitzer, einem Kaufmann und Schauspieler verteidigen lassen. Wenn ich mit meinen vierzig Jahren auch nur noch einen Hauch von Stolz besitzen würde, spätestens jetzt wäre er dahin.
Und hätte ich außerdem gewusst, dass ich so gut wie nackt vor einem jungen ›Mann‹ stehen muss, den niemand zum Gehen auffordert, da es keine falsche Scham zwischen Schauspielern gibt …
Der Höhlenboden war mit drei, vier Lagen Teppichen bedeckt. Obwohl ich kaum etwas am Leib trug, war mir nicht kalt. Eine große Zahl Kisten und Truhen stand an der Höhlenwand, und auf den meisten davon brannten Kerzen. Der Rauch und die Hitze stiegen zu der Ruß geschwärzten Kalksteindecke empor und brannten mir in der Kehle. Ich hustete.
Aus Gewohnheit fragte ich mich, ob die Schauspieler sich der Brandgefahr bewusst waren – und ja, dort wo das Höhlendach sich dem sandigen Boden entgegenneigte, schimmerte Wasser. Sechs Feuerlöscheimer standen neben dem kleinen Tümpel bereit, und zwei weitere waren mit Sand gefüllt.
Mein Schneider – gütiger Gott, der Tag war gekommen, da ich einen Schneider Freund nennen musste! – saß bei seinem Lehrling und arbeitete hektisch an einem Kostüm. Leise fluchte er vor sich hin, wie er es schon die ganzen letzten Stunden über getan hatte, nur dass er immer aufgeregter wurde, je näher die Vorstellung rückte.
Der Lehrling stand auf, huschte um mich herum und kam dabei Alleyne in den Weg. Ich verschränkte die Arme vor der nackten Brust und starrte auf die beiden hinunter, als sie begannen, einander anzuschreien.
»Wie? Ihr zieht nicht alles aus?« Dariole stellte ihre Frage mit einem Unterton, der mir keineswegs entging, auch wenn es nach außen hin höflich klang.
»Strumpfhose ist Strumpfhose, egal wer sie trägt«, erwiderte ich und kämpfte darum, die Würde zu bewahren. Da sie noch nicht festgebunden war, rutschte mir meine burgunderrote Seidenstrumpfhose immer wieder bis unter die Knie.
»Aber …«
»Nein«, sagte ich entschlossen.
Auch wenn Frauen nichts Vergleichbares trugen, hegte ich nicht die Absicht, auf meine Unterwäsche zu verzichten.
Dariole – in ihrem gebleichten Leinenwams und der schwarzen venezianischen Hose das Bild eines Hofpagen – trat vom Eingang weg und setzte sich auf eine der Truhen.
»Lasst Euch nicht von mir aufhalten, Monsieur«, sagte ich. »So kurz vor dem Bankett habt Ihr doch sicherlich noch einiges zu tun.«
»Och. Ich habe Zeit …«
»Dann seid still!«, fauchte Edward Alleyne dazwischen und machte Darioles gespielter Unschuld ein Ende.
Das ist wohl auch ganz gut so, sinnierte ich, zumal ich kurz davor gestanden hatte, die freche Göre übers Knie zu legen.
Nein … Sie ist im vergangenen Monat schon genug gedemütigt worden.
Mit diesem Gedanken kam ein Gefühl, das ich nicht einzuordnen vermochte.
»Ich werde Euch jetzt ein letztes Mal mit dem Text helfen, Monsieur Rochefort«, verkündete Alleyne, kramte in einem Stapel bekritzelten Papiers und blickte besorgt zu mir hinüber. »Es ist eine Schande, dass Will nicht mit Euch im Kostüm auf der Bühne hat proben können, aber sie essen gleich zu Abend. Egal: Wir werden Erfolg haben! Nun denn … ›Als in feierlichem Ernst stand der Geschichte Muse …‹«
»›Als in feierlichem Ernst stand der Geschichte Muse‹«, knurrte ich. Mein Schneider näherte sich mir mit einem weibischen Unterkleid in der Hand.
Sorgfältig vermied ich es, zu Dariole zu blicken. In diesem Augenblick wäre es mir schwer gefallen, mich selbst durch ihre Augen zu sehen. In Paris hätte ich gewusst, wie sie auf einen über sechs Fuß großen, spanisch aussehenden Mann in Strumpfhosen reagiert hätte. Nun, nach ihrer Vergewaltigung, hatte ich das Gefühl, dass mein nackter Oberkörper ein Affront für sie als Frau darstellen musste.
Mir fiel keine Möglichkeit ein, wie ich mich auf eine Sittsamkeit hätte berufen können, die zwischen einem älteren und einem jüngeren Mann einfach nicht existiert.
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