1610 03 - Soehne der Zeit
Situation einen Mord nicht zulassen würde. Und wäre ich Doktor Fludd, würde ich alles Menschenmögliche tun, um genau dafür zu sorgen … was Fludd bei seinen Fähigkeiten nicht allzu schwer fallen dürfte. Deshalb hielt ich es für wahrscheinlich, dass es zumindest bei dieser Gelegenheit nicht zu einem offenen Konflikt zwischen mir und Mademoiselle Dariole kommen würde.
»Schwerter, Pistolen, Verstand …«, sagte ich. »Verlasst euch darauf, und gebt aufeinander Acht. Und jetzt lasst uns reiten.«
Wir trieben unsere Pferde an, ritten durch den aufwirbelnden Sand vom Ufer weg und wurden erst wieder langsamer, als wir die Pinien der Landspitze von Hako erreichten. Ein paar Sampans hatten ihre Netze gut zwanzig Schritt vom Land entfernt ausgeworfen, dort wo die Wellen an den Felsen brachen. Ich führte uns tiefer zwischen den Bäumen hindurch. Es gibt keinen Grund, warum dort draußen kein Mann mit einer Arkebuse sein sollte.
Je weiter wir die Landspitze hinunterritten, desto weniger wurden die Pinien. Wir ritten über üppiges grünes Gras, das von Hirschen kurz gefressen worden war. Kurz dachte ich an die Jagden mit König Heinrich zurück, doch der Geruch des Meeres erinnerte mich daran, wie weit wir von Frankreich entfernt waren.
Als ich zum Festland zurückblickte, sah ich nur das Dorf; lediglich die spitzen Dächer waren im Dunst zu erkennen. Eine Jagd mag das ja sein, dachte ich, aber ein Vergnügen ist das nicht.
Dann meldete sich Dariole plötzlich zu Wort und sagte mit strahlenden Augen: »Die Normandie, Messire. Erinnert Euch das nicht an den Strand in der Normandie?«
»Ich sehe sie«, unterbrach uns Gabriel und machte eine leichte Kopfbewegung, die ein Beobachter nicht bemerkt hätte. »Direkt vor uns. Zwei von ihnen.« Er hielt kurz inne. »Und es scheinen nur die zwei zu sein.«
Gegen Ende der Landzunge drängten sich die Pinien erst und verliefen dann wieder bis zu einem weißen Sandstrand. Eines der torii genannten Tore lag halb versteckt im letzten Wäldchen, und jenseits davon standen zwei Männer am Strand, hinter sich nur das Meer.
Dariole blickte zu mir herüber. Die Sonne hatte Spuren auf ihrem Gesicht hinterlassen, erkannte ich. Sie war so braun wie die Bauernmädchen, die in Brissac die Ernte einholten. Als sie lächelte, war deutlich die Lücke in ihren weißen Zähnen zu sehen. Die Erinnerung daran, wie sie den Zahn verloren hatte, tat mir im Herzen weh.
»Ich wusste, worauf ich mich eingelassen habe«, erklärte Dariole mit fester Stimme. »Caterina hatte Recht, Messire.«
Ohne Vorwarnung trat sie ihrem Pferd die Fersen in die Flanken.
Ich hatte nicht gesehen – oder ich hatte es nicht bemerkt, weil es so selbstverständlich für mich war –, dass sie Sporen angelegt hatte.
Das Tier aus nihonesischer Zucht war jedoch in keinster Weise an Sporen gewöhnt. Es stieg, warf Dariole fast ab, und ich entkam nur um Haaresbreite den austretenden Vorderbeinen.
Ich riss an den Zügeln, spürte, wie sich die Strohschuhe, welche die Nihoneser anstelle von Hufeisen benutzten, in das nasse Gras gruben, und tatsächlich gelang es mir, mein Pferd davon abzuhalten durchzugehen.
Darioles steigender Hengst drehte sich und trat nach Gabriels Stute … welche nun ihrerseits stieg, zurückwich, herumwirbelte und wieder zwischen die Bäume stob.
»Gabriel!« Er lässt ihr seinen Willen!
Darioles Sporen gruben blutige Spuren in die Flanken ihres Tiers.
Unvermittelt sprang der Hengst im gestreckten Galopp vorwärts, und nur durch Glück stob er zum Ende der Landzunge.
Ich trat meinem Pferd ebenfalls die Fersen in die Flanken und schlug es mit den Zügeln. Der Hengst warf den Kopf hoch und wich zurück, war nicht zum Vorwärtsgehen zubewegen. » Merde ! Dariole!«
Die beiden winzigen Gestalten am Strand blickten und deuteten in unsere Richtung.
Mein Pferd drehte sich und machte keinerlei Anstalten, mir zu Willen zu sein. Ich sprang aus dem Sattel, ließ das Tier stehen und rannte so schnell ich konnte über das üppige Grün. Ich könnte sie einholen … wenn sie stehen bleibt … wenn ihr Pferd wieder ungehorsam ist …
Ich hatte das Gefühl, als würde ich durch Leim laufen, Treibsand, tiefen Schlamm, obwohl ich eigentlich recht schnell rennen kann. Dennoch wurde Dariole rasch kleiner, während sie an den Bäumen und dem torii vorbei in Richtung Strand stürmte.
Ihr Pferd stolperte ins offene Gelände hinaus.
Ich hörte einen hohen Schrei wie der einer Möwe.
Das Pferd stand, den Kopf
Weitere Kostenlose Bücher