1613 - Blut-Rivale
Fliegen konnte sie nicht, und er war verdammt schnell.
Aber sie steckte voller Wut. Das entnahm er ihrem Schrei, der ihn verfolgte.
Es interessierte ihn nicht mehr. Ethan Hunter wollte nur sein Leben retten.
So etwas war ihm bisher nur einmal passiert. Das war im Kongo gewesen, als ihm Rebellen auf den Fersen gewesen waren. Im letzten Augenblick hatte er dabei einen kleinen Fluss erreicht, wo er ein Boot versteckt hatte. Damit war er geflohen und auch dem Kugelhagel entkommen.
Hier gab es keinen Fluss, auch kein Boot, dafür aber ein Auto, das außerhalb des Geländes parkte. Dieses Ziel wollte er so schnell wie möglich erreichen, und er drehte sich nicht mal mehr um, denn das hätte ihn nur Zeit gekostet.
Er kletterte über die Mauer des Friedhofs, fiel auf der anderen Seite zu Boden, raffte sich auf und rannte die letzten Meter, die ihn noch von dem Wagen trennten.
Die Türen ließen sich über das Funksignal öffnen. Erst als er die Fahrertür erreichte, drehte er sich um und erwartete, dass ihm Loretta folgen würde.
Er sah sie nicht. Es kletterte auch niemand über die Mauer, und so stieg er in seinen Wagen und atmete dort zum ersten Mal auf.
Wenig später fuhr er in die Dunkelheit hinein und verfluchte die Unperson, die ihn in diese Lage gebracht hatte…
***
Auf der Fahrt spürten wir beide, dass uns irgendetwas drängte, den Friedhof so schnell wie möglich zu erreichen. Wir sprachen nicht darüber, doch die Anspannung in unseren Gesichtern sprach Bände.
»Was könnte er dort wollen, John?«
»Abschied nehmen. Ethan Hunter muss sehr an Frantisek gehangen haben, aus welchen Gründen auch immer. Da gehört es sich einfach, dass man ein Grab aufsucht.«
»Falls er es nicht schon vorher getan hat.«
»Ja, das ist natürlich auch möglich.«
Wir hatten es nicht besonders weit, aber auf den recht engen Straßen konnten wir nicht so fahren, wie wir wollten. Auf das Blaulicht und die Sirene hatten wir verzichtet.
Suko saß natürlich hinter dem Steuer. Auch in der Nacht herrschte in London Betrieb, und gerade ein Stadtteil wie Soho schlief nie, das war selbst bei einem feuchtkalten Wetter der Fall.
Auf dem Friedhof lag nicht nur Marek begraben, sondern auch Lady Sarah, die Horror-Oma. Hin und wieder besuchten wir beide Gräber, und jedes Mal dachte ich daran, wie wunderbar es wäre, wenn die beiden noch lebten.
Das war nicht der Fall, und zurückholen konnten wir sie auch nicht.
Suko stoppte vor der nächsten Kurve ab. Sie war recht eng. Wir mussten in eine Seitenstraße einbiegen, und wir hörten, dass von dort ein Wagen kam. Nicht am Heulen des Motors, sondern am Quietschen der Reifen, als das Fahrzeug um die Ecke bog.
Für einen winzigen Moment streifte uns das Licht der Scheinwerfer, sodass wir leicht geblendet wurden. Das Heck des Fahrzeugs schleuderte ein wenig, und wir befürchteten, dass es unseren Rover erwischen würde, was zum Glück nicht der Fall war, denn das andere Fahrzeug schleuderte hautnah an unserem Rover vorbei.
Suko hatte gebremst. »Was war das denn?«
»Einer, der es verdammt eilig hatte.«
»Hast du den Fahrer erkannt?«
»Woher denn? Das Licht hat mich geblendet.«
Suko hob die Schultern an. »Wenn mich nicht alles täuscht, ist er aus der Richtung gekommen, in die wir fahren wollten. Er kam mir vor wie auf der Flucht.«
»Und weiter?«
»Das weißt du doch.«
»Du meinst Ethan Hunter?«
Suko gab wieder mehr Gas. »Wäre doch möglich, oder?«
Ich hatte eine andere Meinung. »Weiß ich nicht. Ein Typ wie Hunter auf der Flucht, das passt einfach nicht.«
»War auch nur ein flüchtiger Gedanke.«
Es war nicht mehr weit bis zu unserem Ziel. Nach einer knappen Minute kam der Friedhof in Sicht, auf dem die Toten nur mit einer Sondergenehmigung begraben wurden, die wir für unsere beiden Freunde erwirkt hatten.
Vor der Mauer konnten wir parken. Schon auf dem ersten Blick war zu sehen, dass kein anderer Wagen hier stand. Völlig natürlich. Dennoch hätte ich es mir anders gewünscht und wäre gern einem gewissen Ethan Hunter Auge in Auge gegenübergetreten.
So traten wir nur in die Stille hinein, als wir den Rover verließen. Man konnte sie auch als eine Friedhofsruhe bezeichnen, die nicht zu unserer Entspannung beitrug. Auf den Eingang verzichteten wir und kletterten über die nicht allzu hohe Mauer.
Wer uns beobachtete, der hätte uns für zwei Diebe halten können, die es auf alte Knochen und Schädel abgesehen hatten. Das traf beileibe nicht zu, aber so
Weitere Kostenlose Bücher