1635 - Die Gespenster-Jäger
kleine Viertel war für Touristen interessant, die die gruselige Seite der Stadt kennenlernen wollten und sich nicht auf die Besichtigungen des London Dungeon oder auf das Wachsfigurenkabinett der Madame Tussaud beschränkten.
Es war eine Ecke, die auch schon von Jack the Ripper besucht worden war. Den erwähnten die Führer zwar, schilderten auch einen seiner Morde akribisch genau, aber wenn die Gruppen unterwegs waren, dann wurden sie in einen Pub geführt, in dem vor etwa hundert Jahren der Wirt seine Frau, seinen Sohn und den Liebhaber seiner Frau mit zahlreichen Messerstichen getötet hatte.
Den Wirt gab es zwar nicht mehr, aber sein Geist sollte noch vorhanden sein und auch spuken.
In diesem Pub endeten die Touren. Wer noch etwas trinken wollte, der konnte das tun. Und es waren die meisten der Touristen, die sich einen Schluck gönnten. Allerdings nicht in dem alten Pub, sondern in einem neuen, der nachträglich angebaut worden war. Den alten gab es auch noch, zumindest den Mordraum, doch er war nur da, um besichtigt zu werden. Da spürten die Menschen dann den Geist des Bösen, der sich dort noch immer hielt. An den Wänden hingen unter Glas die vergilbten Berichte über die Tat, und das dort vorhandene Mobiliar sah ebenso aus wie vor hundert Jahren. Echt war es nicht. Man hatte es nachgebaut, und das originalgetreu.
Die Bank in der Nähe war nicht leer. Zwei Gestalten hatten sich dort niedergelassen.
Eine Frau und ein Mann!
Es waren Gina Rankin und Cole Parker. Beide hielten sich an den Händen fest, schwiegen und mussten zunächst mal verdauen, was mit ihnen geschehen war.
»Fühlst du dich gut, Cole?«
»Ja.«
»Erinnerst du dich daran, was passiert ist?«
»Sehr gut.«
»Und das sind wirklich wir gewesen?«
»Wer sonst?« Cole Parker lachte. »Du wirst dich an unser neues Dasein gewöhnen müssen. Es findet auf zwei Ebenen statt. Wir sind jetzt wieder normale Menschen, aber die können auch zu Gespenstern werden, also zu Gestalten, die wir gejagt haben.«
»Und die es eigentlich nicht gibt«, sagte Gina.
»Das denkt man. Aber wissen wir es nicht besser?«
»Ich glaube schon.«
»Dann sind wir bevorzugt. Wer kann schon in zwei Gestalten oder auf zwei Ebenen existieren? Das ist verrückt, aber zum Glück auch wahr. Uns kann keiner etwas. Wir werden ein tolles Leben führen. Als Menschen und als Geister.«
Gina Rankin krauste die Stirn. Sie musste erst mal darüber nachdenken.
»Das sehe ich alles ebenso«, sagte sie dann. »Und wir erleben unser anderes Dasein sogar bewusst. Als Mensch bin ich eine Mörderin. Man wird mich suchen, Cole.«
»Mich auch. Wir haben beide getötet. Ich holte mir Buddy Style, wir sind uns da einig gewesen. Er musste sterben. Ich will nicht, dass seine Show weiterläuft, denn jetzt sind wir die Produzenten und auch die Regisseure. Keiner darf uns mehr ins Handwerk pfuschen. Auch ein gewisser Peter Terry nicht.«
»Das hört sich an, als sollte auch er sterben.«
»Ich bin dafür.«
»Und wann?«
»Wir haben Zeit. Die Nacht hat erst begonnen. Und wenn alles erledigt ist, werden wir uns dorthin zurückziehen, wo wir den Anfang erlebt haben, wo der Tod ein besonderes Gesicht besitzt.«
Gina nickte langsam. Dennoch hatte sie Bedenken. »Man wird zumindest mich als Mörderin suchen. Mich haben Millionen Zuschauer gesehen, und ich weiß nicht, ob ich dem entkommen kann.«
»Es ist so einfach. Wir bleiben in unserer zweiten Gestalt. Auch am Tage. Die Kraft werden wir uns holen, das verspreche ich dir. Und wir werden den Menschen klarmachen, dass es tatsächlich Gespenster gibt, die nicht sehr nett und lieb sind.«
Gina kicherte. Es hatte sie gefreut, den Vorschlag zu hören. »Wann sollen wir denn damit beginnen?«
»Frag nicht so etwas. Warum sitzen wir hier eigentlich? Du kennst doch den Grund.«
»Ach, der Mörderpub.«
»Genau. Wir waren mit der Kamera da und haben so getan, als würden wir dort die Gespenster suchen. Das wird sich jetzt wiederholen, aber diesmal werden die Besucher echte Gespenster erleben.«
»Heute noch?«
»Klar, die letzte Tour trifft bald ein. Es ist schon dunkel geworden. Idealer könnten wir es nicht treffen.«
»Dann sollten wir jetzt gehen - oder?«
»Du sagst es, Gina.«
Sie verloren kein Wort mehr und standen auf. Gina fasste nach Coles Hand. Gemeinsam schritten sie den Weg hinab und gerieten bald in den Lichtkreis einer Laterne. Sie mussten hindurchgehen, schafften es aber nicht bis zu seinem Ende, denn unterwegs geschah
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