1635 - Schach der Blauen Schlange
verzerrt schien. Er war einssiebzig groß und in eine Art Kettenhemd gekleidet. Die Hose bestand aus demselben Material, und statt festem Schuhwerk trug er Sandalen aus einem faserigen, organischen Stoff. Seine Finger trommelten einen nervösen Takt auf die Sessellehne, seine Augenwimpern zuckten so, als sei der Raum besonders staubig.
Vor ihm auf dem Boden lag ein bunt gemustertes Kissen, das ausgebreitet etwa ein mal zwei Meter maß. Das gute Stück hätte eine Reinigung vertragen können - ebenso wie der Ennox selbst. „He!" zeterte der Besucher. „Paßt gefälligst auf meinen Diwan auf!"
„Auf was?" gab Gendal Jumphar verblüfft zurück. Aus seinen schwarzen Augen starrte er den Ennox an, als sei dieser geisteskrank. „Das Bett da unten! Vorsicht! Meinen Divan faßt keiner an, klar?"
„Wir haben verstanden", mischte sich Henna ein, bevor der Mann mit dem Totenschädel ein unbedachtes Wort sagen konnte. Die offizielle Kommandantin der MAGENTA war immer noch sie, also stand auch ihr die Begrüßung zu. „Ich freue mich, dich an Bord meines Schiffes zu begrüßen. Du wirst sehen, daß niemand deinen Diwan beschädigt."
„Das wollte ich euch geraten haben", nuschelte der Ennox namens Guido. „Zu euren bisherigen Fehlern käme das nämlich erschwerend hinzu."
„Was für Fehler?" erkundigte sich Alnora Deponar. „Wie willst du das beurteilen?"
„Einige von uns Ennox haben sich auf die Seite der Akonen gestellt. Aber nur aus dem einen Grund, weil wir euch belehren wollten. Wir wollten zeigen, wie unsinnig und kindisch eure Querelen sind; daß man weiterkommt, wenn man zusammenarbeitet. Das allein war unser Beweggrund! Wir wollten keine Sieger und keine Verlierer! Wir wollten Partner schaffen! Ihr aber übertreibt es; so wie alles, was ihr in eurer stumpfen Ernsthaftigkeit anstellt"
„Guido! Was redest du!"
„Was schon lange gesagt werden mußte! So kann es nicht weitergehen! Euch Akonen wollten wir zum Gegengewicht gegen das Galaktikum aufbauen. Dieses ganze Ränkespiel sollte ad absurdum geführt werden. Und was ist wirklich? Wir machen uns an Mord und Totschlag mitschuldig. Die Akonen sind zu weit gegangen. Ich fordere dich auf, Rätin: Beende dieses Treiben - oder die Ennox wenden sich ab von euch."
Ein paar Sekunden lang wirkte Alnora Deponar sprachlos.
Von der Figur her war die Hohe Rätin Henna Zarphis Ebenbild. Beide waren ein Meter achtzig groß, knabenhaft schlank gebaut, und das schwarze Haar unterschied sich lediglich in der Art, wie sie es trugen. Nur das Gesicht ... Wer genau hinsah, mußte diese Züge und den Teint als Fremdkörper empfinden; besonders jetzt, da sie sich vor ohnmächtiger Wut verzerrten. Vor langer Zeit hatte ein Strahlschuß Alnora Deponar am Kopf getroffen. Und nur deshalb, weil ein Bioplast-Implantat ,das alte Gesicht ersetzte, sah sie anders als Henna aus. Deshalb war ihre Identität lange im Dunklen geblieben, deshalb hatte sie als Rätin Henna protegieren und zur Kommandantin der MAGENTA machen können.
Doch in diesem Augenblick zählte das alles nicht. Sie starrte den Besucher mit schlecht gezügelter Aggressivität an und sagte: „Guido, wir sollten das nicht hier besprechen. Nimm deine Matte und komm mit."
„He! So schon gar nicht!"
Henna schnitt der Rätin mit einer Geste das Wort ab. „Ich bitte dich darum, Guido", fügte sie sanft hinzu. „Alnora wird sich gleich wieder in der Gewalt haben."
„Na, so schon eher."
Der Ennox erhob sich, rollte den sogenannten Diwan zu einem handlichen Packen zusammen und folgte den Akonen hinaus. Alnora bewegte sich mit stocksteifem Rücken, ihre Schritte wirkten vor Anspannung hölzern. Als auch Gendal Jumphar sie begleiten wollte, sagte die Rätin: „Du nicht! Sieh zu, daß du etwas Nützliches tust."
„Sehr wohl, Rätin."
Sogleich zog sich der Sicherheitschef zurück. In diesem Augenblick war er nicht mehr als ein würdeloser Blitzableiter, der um seiner eigenen, beschränkten Macht willen alles ertragen würde.
Henna führte Alnora und den Ennox in eines der Konferenzzimmer, zwei Decks über der Zentrale. Aber was immer Alnora Deponar auch gegen das Ultimatum des Ennox vorbrachte, Guido blieb bei seiner Version. Beende dieses Treiben, oder die Ennox wenden sich ab von euch. Der Wutausbruch, den sich die Rätin daraufhin leistete, änderte nichts daran - und Henna konnte sich eine geheime Befriedigung nicht verkneifen.
Der Ennox war längst verschwunden. Nur Alnora Deponar brütete stumpfsinnig vor sich
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