1635 - Schach der Blauen Schlange
Haus N'Akona verlassen konnte, wurde ich eingeschlossen. Ich will beim nächstenmal darauf achten, daß ich als erster draußen bin. Ich habe nicht die Absicht, deine Befehle zu mißachten, glaube mir! Niemand weiß, was im Fremdenhaus vor sich geht, es ist nicht meine Schuld."
Mehr von dieser Sorte brachte er nicht mehr heraus, denn in derselben Sekunde traf ihn ein fürchterlicher Schlag vor den Brustkorb. Ronac krümmte sich und flog zwei Meter weit. Ein Ballen dampfender Tsuin-Wurzeln bremste seinen Sturz; und die Gärungssäure ließ seine Wunden von gestern wie Feuer brennen. „Hör auf, Castodom! Ich kann nicht mehr!"
Doch der Stärkste ließ sich nicht beirren. Ronac begriff, daß er nur eine einzige Chance hatte, am Leben zu bleiben: Er durfte jetzt nicht aufbegehren, sich nicht wehren, nicht einmal mit erhobenen Armen die Schläge abfangen. Er mußte die Instinkte des anderen ausnutzen. Man durfte einen Gegner schlagen - aber keinen, der sich nicht zu wehren vermochte.
Ein solcher Mann gehörte zu den Alten oder zu den Tedes, doch eine Bedrohung war er nicht. „Castodom! Nicht..."
Ein fürchterlicher Schlag brach ihm fast die Beine.
Hätte er nur sagen können, was wirklich geschehen war.
Doch der Stärkste war zu dumm, um etwas von Korridoren, Syntroniken oder künstlicher Beleuchtung zu verstehen. Ihm gegenüber half nur Unterwerfung. Und zugleich wußte Ronac genau, daß er Castodom niemals verzeihen würde. Er hatte alles versucht, seinen Stolz nicht brechen zu lassen, und nun war es doch geschehen.
Den letzten Schlag spürte Ronac kaum noch. Castodom, dachte er, dein Todesurteil ist gesprochen.
Am nächsten Tag nahm er mit schmerzenden Gliedern die Arbeit wieder auf. Der Stärkste schenkte ihm keinerlei Beachtung mehr, und Ronac stellte fest, daß sich selbst die Tedes ihm gegenüber ungewöhnliche Frechheiten herausnahmen. Vor der gestrigen Bestrafung hatte er als Castodoms einziger Konkurrent gegolten; jetzt war er für die Mitglieder des Stammes nicht mehr als einer, der seinen Stolz für sein Leben geopfert hatte.
Und genauso war es. Ronac wußte das. Er begann, sich immer mehr von den anderen abzusondern, und nahm nur noch die Mahlzeiten gemeinsam mit ihnen ein. Immer öfter dachte er an Fhem, und wie es wäre, jeden Tag mit ihr verbringen zu können ... Mit ihr, die seine Niederlage nicht mit angesehen hatte. Aber das war nicht möglich, weil der Kontakt unter den Stämmen fast nicht existierte. Man sprach miteinander, wenn es sich nicht vermeiden ließ, doch ansonsten kümmerten sich weder die Stärksten noch die Männer und Frauen um irgendwelche Fremden.
In seinem Kopf schwirrte noch immer das fremde Wissen herum. Plötzlich wußte er, wie hoch die Wolken reichten, und daß es sich bei dem Planeten Szal-Mien um eine Kugel handelte. Er wußte, woraus die Erde und die Bäume bestanden - doch all dieses Wissen hatte keinen Zusammenhang.
Am vierten Tag der Trockenperiode stieß Ronac durch Zufall auf eine tiefe Höhle im Gestein. Niemals vorher hatte er sich getraut, einen solch tiefen Schacht bis zum Ende zu erkunden.
Kein Szal-Miener hatte das je getan. Aber seltsamerweise war auch die Angst vor Erdgeistern bei ihm geschwunden. Er glaubte nicht an die Gefahr. Lediglich vor Höhlenräubern galt es, sich in acht zu nehmen. Aber so tief kamen nicht einmal Tiere. Von draußen reichten nur noch geringe, rote Spuren von Licht bis hierher, so daß er eine halbe Stunde brauchte, bis er sich an die Dunkelheit gewöhnt hatte und sehen konnte. An den Wänden klebte ein seltsames, nie vorher gesehenes Mineral. Er kratzte mit einem Stein etwas davon herunter und füllte sich mit dem Staub die ganze Handfläche.
Eine ganz bestimmte Ahnung weckte in ihm unbändige Vorfreude. Mit seinem Schatz tastete er sich ins Freie zurück, und als er bei dem strahlend roten Sonnenschein wieder sehen konnte, sah er, daß der Staub grün war. Grün, vermischt mit gelben Spuren und ein paar weiteren Zutaten ... Schwefel, Salpeter... Schon wieder diese unbekannten Namen in seinem Gehirn. Allmählich wurde es beängstigend. Und das fremde Wissen in seinem Schädel riet zur Vorsicht - ein Funke, so besagte es, und das Gemisch konnte explodieren. Ronac wurde nur allmählich klar, was er da in Händen hielt. Dieses Pulver sicherte dem, der es beherrschte, mehr Macht als alle Steinkeile zusammen. Sein Blick strich über das Buschwerk ringsum. Er sog prüfend Luft ein; und tatsächlich, irgendwo in der Nähe stand
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