1638 - Leichenspur des Künstlers
erhellt wurde, sodass dem Künstler nichts verborgen blieb.
Links führte eine uralte Steintreppe nach oben. Sie gehörte zu dieser geheimnisvollen Unterwelt, die von den meisten Menschen aus der Umgebung vergessen war. Nicht von ihm, denn hier war sein Versteck.
Und darauf würde niemand kommen.
Er musste bis zu einer Tür gehen, die aus Holz bestand. Er brauchte sie nicht aufzuschließen, denn sie war offen.
Alte Angeln gaben leicht quietschende Geräusche von sich, als er die Tür aufzog. Auch hier gab es kein elektrisches Licht, dafür Kerzen, deren Dochte er der Reihe nach anzündete. Sie standen auf einem alten Tisch, und ihr Flackerlicht erhellte mit ihrem leicht unruhigen Schein das alte Verlies.
Er schloss die Tür.
Er atmete stöhnend.
Hier fühlte er sich zu Hause. Sein Blick saugte sich an der gegenüberliegenden Wand fest. Sie war nicht so kahl wie die anderen. Er hatte sie mit den verschiedenen großen Fotos und Zeitungsausschnitten dekoriert. Jedes Bild zeigte einen Menschen. Nur die Köpfe davon waren zu sehen, und hätte man den Künstler nach diesen Gesichtern gefragt, so hätte er geantwortet, dass es seine Heiligen waren, die dort an der Wand hingen.
Besondere Heilige, die sich nur ein verquerter Geist wie seiner ausdenken konnte.
Jedes Bild zeigte einen Mann. Und jeder dieser Männer war ein Verbrecher. Von Massenmördern konnte man nicht sprechen, nur wenn man alle Taten der Killer zusammenzählte, dann kam es hin.
Es waren schlimme Menschen. An Grausamkeiten nicht zu übertreffen.
Amokläufer, aber auch Killer, die eiskalt vorgegangen waren, um ihre Triebe zu befriedigen.
Kindermörder, Serientäter, sogar zwei Kannibalen befanden sich darunter.
Sie mochte er besonders, aber auch diejenigen, die völlig unschuldige Menschen auf dem Gewissen hatten.
Er wusste, dass sie in die Geschichte eingegangen waren, und genau das wollte auch er. Schon jetzt sprach man von den Taten des Künstlers.
Für ihn war es erst der Anfang. Er würde besondere Zeichen setzen, sodass die Menschen vor ihm zitterten.
Angst hatte er nicht, denn er wusste, dass die anderen ihn stark gemacht hatten. All diejenigen, die er auf den Bildern anschaute. Die meisten von ihnen waren tot, doch einige lebten noch. Unter anderem auch einer der beiden Kannibalen. Er saß in einer Zelle wie der große Hannibal Lecter, der Mann aus dem Film, der ebenfalls so etwas wie ein Vorbild für ihn war.
Dieser Raum war anders. Es war kein normales Verlies, das schon schaurig genug gewesen wäre. Aber hier hatte sich noch etwas anderes gehalten oder war hineingekrochen.
Der Künstler spürte die besondere Atmosphäre. Immer wenn er hier stand, dann überkam ihn das Gefühl einer kaum zu zerstörenden Stärke.
Er setzte darauf, dass er nicht allein war, denn er fühlte die andere Kraft, die nicht von dieser Welt war.
Es waren die Geister dieser Verbrecher, die sich hier versammelt hatten.
Geister oder Seelen, die keine Ruhe fanden. Der Künstler hielt Zwiesprache mit ihnen, und er wusste auch, dass ihm die andere Seite Antwort gab.
Sie waren bei ihm, obwohl er sie nicht sah. Körperlich waren die meisten von ihnen nicht mehr auf dieser Welt, geistig schon, und darauf setzte er.
Der Künstler wollte alle überflügeln. Einfach zu töten, das war ihm zu wenig. Er wollte dem Tod das geben, was dieser auch verdiente. Ein Kunstwerk. Dreimal schon hatte er es hinterlassen, und für ein viertes war er bereit.
Noch an diesem Abend.
Und das auch, weil dieser Sinclair da war. Er wollte ihm beweisen, wie klein er war, und dass er ihm letztendlich nicht entkommen konnte.
Ihn hatte der Künstler ebenfalls auf der Liste. Schon jetzt malte er sich aus, wie es sein würde, wenn dieser Mensch in seine Gewalt geriet. Er würde ihn foltern, ihn wimmern und schreien lassen, um ihm so seinen Triumph zu zeigen.
Und er sollte hier unten sterben. Sein menschliches Ende vor den Bildern der anderen Täter finden und langsam ausbluten.
Es war ein Plan, der ihn beinahe euphorisch machte. Ein toller Abschluss, denn wer es geschafft hatte, einen derartigen Menschen zu töten, der ging bestimmt in die Geschichte ein.
Niemand ahnte, wer er war. Die perfekte Tarnung hatte er sich ausgesucht. So war es auch bei den anderen Killern gewesen. Wölfe im Schafspelz. Das traf haargenau zu.
Er hatte diese Minuten gebraucht und dachte jetzt an die Abschiedszeremonie.
Der Künstler verbeugte sich vor den Bildern, als wären es für ihn tatsächlich Heilige,
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