1641 - Die Blutmaske
hatte der Neuen klargemacht, wer hier das Sagen hatte, und sie hatte ihr auch erklärt, dass sie nicht davor zurückschrecken würde, sie zu vernichten.
Das hatte Claudine verstanden.
»Warten, wir müssen warten.« Immer wieder hatte Justine ihr das eingehämmert. »Du wirst dich am Tage nicht bewegen können, aber die Nacht ist unser Freund. Sie gibt uns die große Chance, an das Blut der Menschen heranzukommen, das auch dein Weiterleben garantieren wird. Verlass dich auf mich.«
Die Domina hatte zugehört. Durch ihr Nicken zeigte sie, dass sie mit allem einverstanden war. Ab und zu bewegte sie ihren Mund. Dabei zog sie die Lippen zurück und zeigte ihre Zähne, wobei sich zwei von ihnen verändert hatten. Sie schimmerten wie kleine, weißgelbe Dolchspitzen und lauerten nur darauf, sich in den Hals eines Opfers schlagen zu können.
»Ich will Blut!«
Justine kannte den Satz schon. Sehr oft hatte ihn Claudine wiederholt, und sie hatte stets die gleiche Antwort erhalten.
»Du wirst dein Blut bekommen! Warte die Dunkelheit ab. Dann werden wir fahren.«
»Wohin?«
»Das wirst du noch sehen.«
Claudine bewegte ihre Schulter wie jemand, der fror. »Wieder zurück in meine Wohnung?«
»Nein, die kannst du vergessen. Du musst all das vergessen, was dein Leben vor der Verwandlung ausgemacht hat. Stell dich auf das Neue ein, Claudine.«
Die ehemalige Domina nickte, senkte den Kopf und stellte keine weiteren Fragen mehr.
Justine ließ sie nicht aus den Augen. Dabei dachte sie über Claudine van Straaten nach. Die Frau mit den dunklen Haaren und dem sexy Körper war zu einer Blutsaugerin geworden. Das war alles okay, das hatte sie auch gewollt. Allerdings fragte sie sich, wie weit Claudine noch an ihrem normalen Leben hing und ob sie den Wunsch verspürte, in ihre alte Umgebung zurückzukehren.
Wenn sie das wollte, musste Justine umdenken. Es war sicherlich ungewöhnlich, wenn der Kunde zu einer Domina kam und erkennen musste, dass er es mit einer Vampirin zu tun hatte.
Das stellte sich die Cavallo als überaus reizvoll vor. Zunächst aber musste etwas anderes durchgezogen werden, und dieser Plan stand so fest in ihrem Kopf, als wäre er aus Eisen geschmiedet worden. Es gab für sie nichts anderes, und sie hatte schon zuvor recherchiert. Jetzt hatte ihr der Zufall genau die richtige Person in die Hände gespielt, um den Plan in die Tat umzusetzen.
Die Zeit verging quälend langsam. Zumindest für Claudine. Bei Justine war das nicht so. Sie war es gewöhnt, zu warten.
Immer wieder wurde die Neue von einer großen Unruhe erfasst. Sie konnte einfach nicht ruhig sein. Sie ging auf und ab, knurrte manchmal wie ein Tier und schlug mit den Fäusten gegen die Wand.
So langsam die Zeit verstrich, sie ging trotzdem vorbei, und als sich der frühe Abend näherte, holte die Cavallo ihr Handy hervor, um John Sinclair anzurufen.
Es machte ihr großen Spaß, mit dem Geisterjäger zu reden. Er würde zwar nicht durchdrehen, aber er würde schon frustriert darüber sein, dass er nichts unternehmen konnte und Justine Cavallo freie Bahn hatte.
Lange Zeit hatte sie sich zurückgehalten. Das war nun vorbei. Sehr bald würde ihre Stunde schlagen. Nicht heute, nicht morgen, nicht übermorgen, doch der große Plan, den sie geschmiedet hatte, der stand fest in ihrem Kopf.
Nach dem Telefonat trat sie an ein Fenster und schaute hinaus. Draußen wurde es dämmerig, das spürte auch Claudine van Straaten.
»Kann ich bald raus? Ich brauche Blut!«
»Ja, du kannst. Das heißt, wir können. Aber du wirst immer genau tun, was ich dir sage. Wenn nicht, hacke ich dir deinen hübschen Kopf ab…«
***
Es war ein kleines Museum. Klein und fein. Wer dort ausstellte, der spekulierte nicht auf die Masse, sondern auf die Kenner. Auf die Menschen, die sich auskannten, und so waren die Ausstellungen nur etwas für Eingeweihte.
Das Haus war zudem nicht groß. Es war eine alte Villa, die umgebaut worden war. Es gab keine Anbauten, man hatte nur Wände herausgerissen oder versetzt, um Platz für größere Räume zu schaffen, die allesamt miteinander verbunden waren.
Es gab nicht immer Ausstellungen. In den Sommermonaten lag die Villa verlassen. Abgeschlossen und gesichert. Erst im September fing die Zeit der Austellungen wieder an. Da erwachte das lte Haus wieder zum Leben.
Die erste Ausstellung in der neuen Saison beschäftigte sich mit venezianischer Kunst. Dabei stand nicht das Glas im Mittelpunkt, für das diese Stadt auch berühmt war, in
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