1645 - Blutsturm
Es war für uns kein Problem, die Deckel anzuheben.
Wenig später schaute ich auf die Handgranaten und hörte Sukos Stimme, die schon verwundert klang.
»Munition, John. Eine Kiste voller Patronen.« Er stand auf. »Und was hast du gefunden?«
»Handgranaten.«
Ich hörte ihn lachen und sagen: »Dann stimmt das wohl doch mit der IRA.«
»Ja, das denke ich auch.«
Suko kam zu mir. Ich blieb noch vor der Kiste hocken und wunderte mich über meine eigenen Gedanken. Ein großer Waffennarr war ich nie gewesen. Ich benutzte sie nur als Mittel zum Zweck. In diesem Fall verstand ich mich selbst nicht mehr, denn irgendwie war ich von den Handgranaten fasziniert. Warum das so war, wusste ich nicht genau. Es war wohl meine innere Stimme zusammen mit dem Bauchgefühl, die dafür sorgte, dass ich meine Hand ausstreckte und zwei dieser Handgranaten an mich nahm. Sie verschwanden in meinen Taschen.
Bisher hatte Suko nichts gesagt. Das änderte sich jetzt, als er sich in die Höhe drückte und leicht den Kopf schüttelte.
»Was willst du denn mit diesen explosiven Eiern?«
»Weiß ich auch nicht so genau«, erwiderte ich leise.
»Dann lass sie doch liegen.«
»Nein.«
»Warum nicht?«
Die Antwort war schwer. Ich atmete zuvor die leicht salzige Seeluft tief ein. »Meine innere Stimme. Mein Bauchgefühl. Nimm es hin. In mir stieg plötzlich das Bedürfnis hoch, diese Handgranaten an mich zu nehmen. Komisch, nicht?«
»Ja, sehr komisch. Sind sie denn scharf?«
»Ich denke schon. Die waren in Ölpapier eingewickelt und haben sich lange gehalten. Wer sie hier versteckt hat, der wusste genau, was er tat. Glaub mir.«
»Das ist dein Problem. Können wir weitergehen?«
»Klar.«
Noch immer schwieg der Wald um uns herum. Das allerdings musste nicht so bleiben. Bevor wir wieder losgingen, legten wir die Richtung fest, um nicht im Kreis zu laufen. Es ging nicht mehr weiter bergauf. Die Bäume blieben, und oft waren die Lücken mehr als eng, durch die wir uns quetschen mussten.
Durch die Luft trudelten die bunten Blätter, von denen wir manchmal getroffen wurden. An das leise Rascheln, das unsere Füße im Laub hinterließen, hatten wir uns gewöhnt. So konnten wir uns auf andere Laute konzentrieren.
Mir schoss so einiges durch den Kopf.
Der Mittelpunkt war immer Justine Cavallo.
Der tote Mann, den wir gefunden hatten, war auf eine bestimmte Weise gekillt worden. Und das deutete auf die Cavallo hin.
Aber warum hörten wir nichts von ihr? Wo hielt sie sich verborgen - und warum?
Es gab eine Lösung. Sie konnte nichts mehr sagen, weil es sie nicht mehr gab. Zumindest nicht lebend.
Auch das konnte ich mir nicht vorstellen. Nicht bei der blonden Bestie, die bisher alles überstanden hatte. Selbst Situationen, über die ein normaler Mensch nur den Kopf schüttelte, da hätte man sie schon für unsterblich halten können.
Es gab auch die andere Seite, und die hieß Dracula II. Der Supervampir war so gut wie unbesiegbar, da er durch den Blutstein geschützt wurde.
Und ein derartiger Gegner stellte auch für Justine Cavallo ein Problem dar.
Ich würde keinen Eid darauf leisten, dass die Cavallo noch existierte.
All meine Gedanken verschwanden, als etwas geschah, was wir uns eigentlich gewünscht hatten.
Die Stille verschwand.
Nicht durch uns, sondern durch andere Personen, deren Stimmen wir plötzlich hörten, die von vorn auf uns zu wehten…
***
In bestimmten Situationen war auch eine Justine Cavallo ehrlich gegen sich selbst. Und eine solche Situation war jetzt eingetreten.
Möglicherweise hatte sie sich übernommen oder auch überschätzt. Wie dem auch war, sie befand sich in einer schwierigen Lage und wusste nicht, wie sie sich daraus wieder befreien konnte.
Das Netz war perfekt. Es bestand aus einem Material, das selbst sie nicht durchtrennen konnte. Sie hing in dieser Falle wie eine Ladung, die in irgendeinem Schiffsbauch landen würde.
Und Mallmann genoss seinen Sieg.
Er hatte in den letzten beiden Minuten nicht mehr gesprochen und nur gewartet. Er wollte ihr die Chance geben, über ihre Lage nachzudenken, und sich darüber bewusst zu werden, dass sie ohne fremde Hilfe nicht freikommen würde.
Bei jeder geringen Bewegung fing das Netz an zu schaukeln. Ihr Messer konnte sie vergessen, und sie hasste die Blicke, mit denen Mallmann sie anstarrte.
»Sieht schlecht für dich aus, nicht wahr?«, höhnte er.
»Nur im Moment.«
»Oh«, staunte er, »rechnest du mit einer Veränderung?«
»Es ist alles möglich,
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