1648 - Geister der Vergangenheit
Gespenster…
Es wollte ihm noch immer nicht in den Sinn. Dabei war alles so gut gelaufen, auch wenn es pervers klang, denn schließlich hatte er zehn Menschenleben auf dem Gewissen.
Das Leben von normalen Menschen?
Da hatte er seine Zweifel. Normale Menschen kehrten nicht als Geister zurück. Aber hier war er mit einem Problem konfrontiert worden, das seine Ratio nicht fassen konnte. Sie waren ihm erschienen, und das nicht, nur im Traum. Er hatte sie erlebt, sie gesehen und sah es als eine Art von Strafe an, die aber nur ihn etwas anging.
Nicht Martine. Sie wollte er aus allem heraushalten. Kam es zu einer Auseinandersetzung, dann musste er sich diesen Geschöpfen allein stellen.
Auf den letzten dreihundert Metern war er mit seinem Wagen über eine schlammige Strecke gefahren, die erst auf dem direkten Gelände zu Ende war, da war der Untergrund wieder fest.
Vor einer Reihe von Baubuden hatte er angehalten. Er war ausgestiegen und in eine der Buden hineingegangen. Dort gab es einen mit Getränken gefüllten Kühlschrank, denn er wollte seinen Durst löschen. Seine Kehle fühlte sich ausgetrocknet an.
Er trank eine kleine Flasche Wasser. Dabei stand er vor dem Fenster, auf dessen Scheibe Staub lag, ihm aber trotzdem einen Durchblick gewährte. So konnte er auf den Bau schauen, der wie ein gewaltiger Klotz auf dem Gelände stand und darauf wartete, dass an ihm weiter gebaut wurde.
Er hatte allein sein wollen und war allein. Dabei dachte er trotzdem an Martine. Er liebte seine Frau über alles. Auch seine Tochter hatte er geliebt. In den Zeiten seiner Legionstätigkeit hätte er nie gedacht, dass ihm mal so etwas widerfahren würde.
Martine war letztendlich der Grund dafür gewesen, dass er die Legion verlassen hatte.
Und jetzt?
»Scheiße«, fluchte er und dachte daran, dass sein Leben so gut wie zerstört war. Die Bullen würden ihn fangen und ihn als Mörder einbuchten, das stand fest. Aber zuvor musste er mit den verfluchten Geistern abrechnen, wobei er sich auch darauf einstellte, dass sie mit ihm abrechneten.
Daran wollte er jetzt nicht denken. Wenn sie ihn suchten, würden sie ihn auch finden.
Seine Waffen hatte er geladen und mitgenommen. Ob sie allerdings gegen feinstoffliche Wesen etwas ausrichteten, war die Frage.
Die Flasche war leer. Er wollte nicht länger in der Baubude bleiben, in der es nach Staub roch, der als dünne Schicht überall lag. Duras wollte an die frische Luft.
Deshalb verließ er den Bau und wandte sich der Bauruine zu, auf die er langsam zuging. Er lenkte seine Schritte über Bohlen hinweg, die von den Arbeitern gelegt worden waren, damit sie nicht durch Matsch waten mussten.
Drei gewaltige Kräne reckten ihre Arme in den Himmel. Neben dem ersten blieb er stehen und schaute an dem Gestänge hoch. Er beneidete den Kranführer nicht, der jeden Tag die zahlreichen Tritte hochsteigen musste, um an seinen Arbeitsplatz zu gelangen.
Knapp zwanzig Meter weiter begann der Bau. In dem höhlenartigen Innern war keine Bewegung zu entdecken.
Es gab auch keine Menschen, die sich für den Rohbau interessierten. Wer ihn von der Straße her sah, der fuhr vorbei, und so blieb Marc Duras allein.
Die unteren Mauern standen. Rohe Platten mit viereckigen Löchern, wo einmal Fenster sein würden. Er betrat den Bau. Obwohl kaum Wind wehte, war es hier doch zugig. Die drei Fahrstuhlschächte waren bereits gebaut worden. Ebenso wie die breite Treppe, die später bis hoch in die achte Etage führen sollte, von der aus man das Dach erreichen konnte.
Duras wollte bis zur ersten Etage hochgehen. Dort war der Boden bereits gelegt worden, nur die Mauern und Wände standen noch nicht, sodass dieser Bereich wie eine große Plattform wirkte. Dafür waren bereits die Stahlträger an den Seiten gesetzt worden und auch diejenigen, die zur nächsten Etage führten. Längs- und Querträger lagen dort und bildeten ein Schachbrettmuster.
Da es über ihm noch keine Decke gab, schaute er von unten her gegen die Träger. Er sah auch das Loch, wo die Treppe endete, spürte den Wind in seinen Haaren - und zuckte leicht zusammen, als er die beiden Gestalten sah, die über seinem Kopf auf den Stahlträgern hockten.
Keine Menschen.
Geister!
Sie hatten ihn also doch gefunden!
Beinahe hätte er gelacht. Irgendwie war er froh, dass er sie oder sie ihn gestellt hatten.
Sie taten nichts, sie hockten nur da. Und wahrscheinlich schauten sie auf ihn nieder.
Von Blicken konnte man nicht sprechen, denn normale Augen
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