1652 - Im Netz des Quidor
stellen. Er wird das Spiel dennoch bestreiten können und uns niemals schaden. Er ist viel älter und weiser als wir alle zusammen."
„Nun, ich halte die Warnung dennoch aufrecht", entgegnete Malassir. „Achte auf das, was du wirklich willst, Spieler. Wenn du irgend etwas tust, was dir oder dem Netz schaden könnte, wirst du sofort ausgeschlossen. Wir können keine Störenfriede dulden."
„Ich werde nichts tun, was mein Team in Gefahr bringen könnte", versprach Bull ruhig. „Aber ich werde mich nicht vorbehaltlos fügen, solange irgendwelche Fragen offenbleiben. Ich trage die Verantwortung für alle meine Leute und werde sie nicht ablegen, nur weil die Regeln es verlangen."
Die Gottesanbeterin bewegte sich in einem unruhigen Tanz; nach einer Weile sprach sie: „Ich weiß jetzt den Grund für dein atypisches Verhalten. Dein Callon funktioniert nicht einwandfrei, wir werden ihn wohl neu einstellen müssen. Ich empfange Störsignale von einem Fremdimplantat, und ich nehme an, das bringt deinen Seelenzustand durcheinander."
„Nein", widersprach Bull. „Der Callon funktioniert hervorragend, er wurde nur neu justiert, aufgrund des Fremdimplantats. Es darf unter keinen Umständen isoliert werden, da ich sonst als Spieler ausfalle." Er blickte Joara an. „Außer das Team wünscht es."
„Natürlich nicht", sagte sie sofort. „Ich sagte es bereits, Malassir, wir brauchen unseren Teamleiter."
Malassir stimmte zögernd zu und hielt eine kurze Abschlußrede über das weitere Vorgehen des Teams. „Nun habt ihr die Gelegenheit, das Orakel von Demus zu befragen", schloß der Spielleiter seine Rede ab. „Ich wünsche euch weiterhin viel Erfolg und vor allem Stabilität. Ihr braucht jetzt nichts weiter zu tun, ich aktiviere von hier den Leit-Transmitter, der euch direkt nach Demus abstrahlt."
Die Luft flimmerte kurz, und dann fand sich das gesamte Team auf dem dritten Planeten des Lakoor-Systems inmitten des Orakel-Komplexes wieder. Das Orakel bestand aus unzähligen weiträumigen und sehr hohen Hallen mit leuchtenden gotischen Rundbögen und Säulen; das Material glich weißem, grün strukturiertem Marmor. Durch die Hallen zogen sich asymmetrisch miteinander verbundene gigantische schwarze Computer der unterschiedlichsten Form - würfelförmig, rund, ineinander geschachtelte Achtecke -, und viele tausend verschiedenfarbig blinkende Lampen streuten ein seltsames Licht durch die Hallen. „Großer Gott, was ist das denn?" flüsterte Fallar. „Diese seltsamen Bauteile ... sie sehen wie Lebewesen aus ..."
„Es sind Lebewesen", sagte Joara. „Ich habe gesehen, wie sich eines bewegt hat..."
In diesen riesigen Maschinenkomplex waren tatsächlich fremdartige Lebensformen integriert, die ähnlich wie Errus in einer Metamorphose mit dem Metall verwuchsen und so zu monströsen halborganischen Schauergestalten wurden, deren ursprüngliches Aussehen nicht mehr nachvollziehbar war. Manche Wesen konnten noch teilweise die deformierten Extremitäten und Köpfe bewegen, wo ihre vibrierenden roten Muskelstränge und Adern das schwarze Metall nicht völlig überwuchert hatten.
Vielleicht sind das die ursprünglichen Erbauer des Netzes, dachte Bull. Sie sind, möglicherweise auf der Suche nach der Unsterblichkeit, eine Symbiose mit den Maschinen eingegangen und haben dadurch das Netz erst vollkommen gemacht, indem sie nicht nur die Gedanken, sondern auch die Gefühle überwachen und steuern konnten. Ich frage mich, ob sie noch eine Erinnerung an ihr früheres Leben haben oder ob sie sich völlig in dem Netz aufgelöst haben.
Langsam gingen die Terraner durch die Hallen auf einen hellen Lichterschein zu; dort vermuteten sie das Zentrum des Orakels.
Den zentralen Mittelpunkt der Computereinheit bildete ein hell leuchtender, frei schwebender und leicht rotierender sechzehneckiger Kubus, über den sich, ausgehend von den Computern zu beiden Seiten, ein blauschimmernder Bogen wölbte, auf dem ein Zeichen angebracht war. Bull erkannte in dem Zeichen eine liegende Acht, und plötzlich begriff er, was Kendor mit dem Begriff in sich verdrehte Schleife gemeint hatte. Er befühlte das Plussymbol auf seinem Helm und musterte gleichzeitig das Minussymbol auf Joaras Helm. Wenn man die Tilden aneinanderfügte, ergab sich aus ihnen eine liegende Acht. Das war der Quidor!
Das vollkommene Ganze, Minus und Plus, Gut und Böse oder wie immer man das auch nennen mag; es ist die harmonische Einheit, das Gleichgewicht, was den Quidor bildet. Was
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