1654 - Komm in meine Totenwelt
sich den Menschen kurz vor ihren letzten Atemzügen.
Suzie Carpenter hatte nur den Namen gehört. Rebecca war nicht beschrieben worden und auch von einem Sensenmann war nicht die Rede gewesen. Der war auch jetzt nicht erschienen. Aber die Frau allein reichte auch, und Suzie fragte sich, um wen es sich dabei handelte.
War sie noch ein Mensch? War sie in irgendeiner Form ein Engel? Oder war sie etwas ganz anderes? War sie ein Mittelding zwischen Mensch und Engel?
Suzie Carpenter öffnete die Augen wieder. Sie wünschte sich, dass die Besucherin verschwunden wäre, aber dieser Wunsch ging leider nicht in Erfüllung. Sie war noch da, und der Blick ihrer Augen blieb auf Suzie gerichtet.
Durch das Nachdenken hatte sie so etwas wie Mut gefasst und war auch in der Lage, eine Frage zu stellen.
»Was willst du von mir? Warum bist du gekommen? Ich - ich - habe dich nicht gerufen. Du hättest in meinen Träumen bleiben können…«
»Ja, so denkst du. Ich denke anders. Du hast viel gehört. Wie oft hat man dir meinen Namen gesagt? Fremde Lippen haben ihn geflüstert, und du hast nie so recht gewusst, wer ich bin und warum man den Namen sagte. Jetzt weißt du es. Ich bin diejenige, die Seelen abholt. Viel wurde schon über mich geschrieben, auch wenn man mich nicht namentlich erwähnte, aber man sprach von einer Abholerin. Ich bin nicht die Einzige, das weiß ich auch, aber ich bin etwas Besonderes, und ich habe mir den Tod als Leibwächter ausgesucht. Er steht hinter mir. Er ist derjenige, der den Menschen beweist, dass sie nicht mehr am Leben sind, und ich bin diejenige, die weiterführt.«
»Und wohin?«
»Das entscheide ich später. Ich habe Beziehungen zu allen Seiten hin, verstehst du? Ich lasse den Menschen in den letzten Sekunden ihres Lebens die Entscheidung. Dann sehen sie mich, dann sehen sie auch mein Stundenglas, das ich kippe.«
»Ja, und weiter?«
»Nichts weiter. Wenn die eine Hälfte des Stundenglases leer ist und die andere voll, dann ist die Entscheidung gefallen. Wenn es die Menschen nicht taten, habe ich es für sie übernommen.«
Suzie wunderte sich darüber, dass sie es geschafft hatte, sich wieder zu fangen. Sie sah die Vorgänge sogar recht realistisch und konzentrierte sich dabei auf sich selbst. So kam ihr die Frage automatisch über die Lippen.
»Was habe ich damit zu tun? Was soll das alles? Warum bist du gekommen? Ich liege nicht im Sterben.«
»Das weiß ich.« Die Besucherin lächelte. »Ich habe dich bei deiner freiwilligen Arbeit beobachtet, ich habe gesehen, wie toll du mit den Menschen umgegangen bist. Die Sterbenden haben bei dir Trost und Erfüllung gefunden. Es war wunderbar, was du ihnen gegeben hast. Und dafür will ich dich belohnen.«
Suzie begriff nichts. Aber sie war neugierig geworden und fragte: »Wie soll die Belohnung denn aussehen?«
»Das ist ganz einfach. Du darfst an meiner Seite sein. Ich hole dich, und plötzlich werden die Menschen, die dich kurz vor ihrem Tod gesehen haben, erneut sehen. Aber sie leben dann nicht mehr. Du bist wie ein Menschengel.«
Das war der Hammer. Suzie Carpenter musste die Worte erst mal durchdenken und verkraften. Hier öffneten sich plötzlich Welten. Sie sollte als Mensch Einblicke in die Totenwelt oder in das Jenseits bekommen?
»Unmöglich«, flüsterte sie.
Sie hatte die Antwort so leise gegeben, dass Rebecca sie nicht verstanden hatte. »Darf ich fragen, was du soeben gesagt hast?«
»Ja, das darfst du. Ich habe unmöglich gesagt.«
Rebecca schüttelte den Kopf. »Dieses Wort gibt es nicht bei mir, daran solltest du immer denken. Und ich kenne auch kein Zurück. Das solltest du dir ebenfalls merken.«
»Wie - wie meinst du das?«
»Wenn ich mich einmal zu etwas entschlossen habe, dann ziehe ich es auch durch.«
Sie deutete ein Nicken an. »Du gehörst jetzt zu mir. Vergiss alles andere.«
Suzie Carpenter glaubte, sich verhört zu haben. Sie dachte daran, wie ihr bisheriges Leben verlaufen war. Sie und ihr Mann hatten sich immer gut verstanden. Ihre Ehe war zwar kinderlos geblieben, aber dennoch waren sie nicht unglücklich. Jeder hatte sich betätigen können, und Suzie hatte eben ihren freiwilligen Job im Hospiz gefunden.
Und das sollte jetzt alles vorbei sein?
Sie spürte, dass sich in ihrem Innern etwas veränderte. Da stieg plötzlich die Wut in ihr hoch und sorgte dafür, dass sich die Haut in ihrem Gesicht rötete.
»Das - das - glaubst du doch selbst nicht, dass ich auf so etwas eingehe…«
»Nein?«
»So
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