1654 - Komm in meine Totenwelt
sich eine Schlange gebildet. Wieder mal. Durch das Schneetreiben sahen wir das schwache Licht einer Ampel und warteten darauf, weiterfahren zu können.
Im Fond des Wagens hatte sich Al Carpenter noch nicht beruhigen können. Wir hörten seinen heftigen Atem, aber er hatte es aufgegeben, zu telefonieren.
Wir konnten wieder anfahren. Ich spürte, dass hinter mir eine Hand nach dem oberen Wulst der Rückenlehne griff.
»Mr. Sinclair…«
»Bitte.«
»Wir schaffen es nicht, glaube ich.«
»Warum?«
Ich hörte ein leises Stöhnen, dann erneut die Stimme. »Suzie meldet sich einfach nicht. Das ist das Problem. Und dass etwas mit ihrem Handy nicht stimmt, ist auch nicht normal. Manchmal habe ich das Gefühl, als würde der Ruf durchgehen, dann aber höre ich nichts. Ich weiß nicht, wie ich das beurteilen soll, aber meine Angst steigert sich. Das ist doch alles nicht mehr normal.«
»Bitte, Al, Ihre Frau ist im Haus.«
»Ja, das weiß ich. Aber ist sie dort auch sicher?«
»Was sollte ihr denn passieren?«
»Und wenn ihr furchtbarer Albtraum zu einer blutigen und tödlichen Wahrheit geworden ist…«
Ich gab darauf keine Antwort. Doch tief in meinem Innern spürte ich, dass er recht haben könnte…
***
Der Sand floss vom oberen Gefäß in das untere. Nur dafür hatte Suzie Carpenter Augen, und ihre Gedanken drehten sich nur um ein einziges Thema.
Komm in meine Totenwelt!
Den Satz hatte sie nicht vergessen. Den würde sie auch nicht aus ihrem Kopf bekommen. Und der der feine Sand rann weiterhin durch das schmale Verbindungsstück des Stundenglases. Von den Händen einer Frau wurde es gehalten.
Einer Person, die Suzie nicht kannte, die sie nur in ihren Träumen gesehen hatte.
Und doch kam ihr etwas an der Person bekannt vor. Sie konnte nicht sagen, was es war. Es ging auch nicht um das Gesicht, eher um ihr gesamtes Gehabe oder Auftreten.
Dieser Gedanke war ihr schon vorher einmal gekommen.
Der Sand rann weiter in das untere Gefäß. Er war gnadenlos und unerbittlich, und sie fragte sich ganz automatisch, wie viel Zeit ihr noch blieb.
Minuten?
Ja, das schon. Sie konnte nur nicht sagen, ob es zwei, drei, vier oder fünf waren.
»Denke nach, Suzie«, unterbrach Rebecca das Schweigen. »Noch bleibt dir Zeit. Komm in meine Totenwelt. Noch ist es nicht zu spät. Wenn du dich weigerst, wirst du den Tod auf eine schreckliche Weise erleben. Da muss ich dich nur an meinen Helfer erinnern. Der Sensenmann steht auf meiner Seite, das sollte dir bewusst sein. Wenn du mir nicht gehorchst, wird er dich holen und in die ewige Finsternis zerren. Mara King hat auch gemeint, sie wäre stärker als ich. Ein Irrtum…«
Suzie Carpenter atmete heftig. Sie hatte jedes Wort genau verstanden, aber sie war nicht fähig, das zu glauben. Sie hätte sich am liebsten gegen den Kopf geschlagen.
Was sie hier erlebte, das durfte nicht wahr sein. Das war einfach nur irre.
Erneut entstand eine Pause. Der Druck in Suzies Innern verstärkte sich. Sie war kaum noch fähig, normal zu atmen. In ihrem Kopf spürte sie einen gewaltigen Druck. Er schien zu einem Kessel geworden zu sein, der nun vor dem Platzen stand.
Und Rebecca lächelte.
Es war ein widerliches, wissendes und auch leicht grausames Lächeln, das ihren Mund in die Breite zog. Ein Lächeln, das Angst machte.
Sie stierte auf das Stundenglas, in dessen oberen Hälfte es nur noch einen schmalen Bodensatz gab, der sich immer mehr verringerte.
Und dann rieselten die letzten Körner durch das schmale Verbindungsstück. Die Frau hatte den Eindruck, dass sie jedes einzelne Sandkorn zählen konnte.
Drei, vier Sekunden Galgenfrist.
Es war vorbei!
Kein Sandkorn rann mehr aus dem oberen Gefäß in das untere hinein. Es war völlig leer. Und damit war ihr Schicksal besiegelt.
Auch Rebecca wusste, was die Stunde geschlagen hatte. Sie stellte die wichtigste Frage.
»Hast du dich entschieden?«
Suzie Carpenter gab keine Antwort. Sie starrte das Stundenglas an. Erneut war sie nicht fähig, Luft zu holen oder etwas zu sagen.
Rebecca wiederholte die Frage. »Wie hast du dich entschieden?«
»Nein, ich will nicht…« Glatt ging ihr die Antwort von den Lippen, und sie erschrak selbst davor. Sie schnappte noch mal nach Luft und stieß ein Ächzen aus, wobei ihr leicht schwindlig wurde.
»Gut!«
Mehr sagte Rebecca nicht. Sie hielt weiterhin das Stundenglas fest und machte den Eindruck einer Frau, die scharf nachdachte. Sie runzelte sogar die Stirn, und als Suzie das sah, da keimte so
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