166 - Medusenfluch
ich eingetreten, fiel die Haustür mit einem dumpfen Knall zu, und eine andere Tür öffnete sich. Komm weiter! sollte das wohl heißen.
Ich folgte auch dieser stummen Einladung, und ich fragte mich, wohin ich gelockt wurde. Würde ich irgendwann der verführerisch schönen Hexe gegenüberstehen?
Das Haus war mit wenigen alten Möbeln eingerichtet. Von allem war nur das Wichtigste vorhanden. An Sauberkeit mangelte es auch an allen Ecken und Enden.
Ich näherte mich der zweiten Tür, die sich für mich aufgetan hatte. An den Wänden hingen Porträts von Leuten, die höchstwahrscheinlich alle nicht mehr lebten.
Hatten sie irgendwann einmal alle hier gewohnt? In welcher Beziehung standen sie zu Abby Vymax? Es interessierte mich nur am Rande.
Wichtig war für mich im Moment nur eine Person: Abby.
Sie war ein gefährliches Weib, dessen Umtrieben man Einhalt gebieten mußte – damit Melissa verschont blieb und auch andere Menschen nicht zu Schaden kamen.
Ich erreichte die zweite Tür, die sich, wie von Geisterhand bewegt, geöffnet hatte, und blieb stehen. Hier drinnen konnte die Hexe bestimmt unzählige Register ziehen.
Zwischen ihr und dem Haus bestand eine geheimnisvolle Komplizenschaft, vor der ich mich in acht nehmen mußte.
Jeden Augenblick konnte etwas Unvorhersehbares passieren.
Vorsichtig ging ich weiter, einen gebogenen Gang mit nackten grauen Wänden entlang. Selbstverständlich fiel auch die zweite Tür hinter mir zu. Und der unsichtbare Türsteher eilte an mir vorbei, um die nächste Tür vor mir zu erreichen.
Ich spürte Kälte über mein Gesicht streichen.
Abby Vymax lieferte unvermittelt eine Kostprobe ihres Könnens.
Wenn sie dachte, mich damit ängstigen, einschüchtern zu können, war sie auf dem Holzweg.
Die Wände bekamen auf einmal Risse, aus denen rotes Blut rann. Der Anblick des Blutes machte viele Menschen kopfscheu, zumindest aber erschreckt es sie, deshalb ist auch Rot die Signalfarbe Nummer eins für uns. Natürlich reagierte auch ich darauf, aber bei weitem nicht so heftig, wie sich das Abby Vymax wahrscheinlich wünschte. Sie konnte mich mit diesem Spuk nicht in Panik versetzen.
Wie dicke rote Farbe rann das Blut in breiten Bahnen aus den »Wunden«. Als die Hexe merkte, daß sie mich damit nicht aus der Fassung bringen konnte, versickerte das Blut, und die Risse schlossen sich knirschend.
Gleichzeitig öffnete sich die dritte Tür für mich, und ich sah eine Treppe, die nach unten führte. Abby Vymax wollte mich in den Keller locken.
Wartete sie dort unten auf mich? Ich blieb im Türrahmen stehen und rief: »Bist du dort unten, Hexe?«
»Ja«, geisterte ihre Stimme zu mir hoch. Gruselig hörte sie sich an mit dem gespenstischen Nachhall. »Ich habe dich erwartet, Tony Ballard!«
Aha, sie kannte bereits meinen Namen. Wo hatte sie sich über mich informiert? Bei Robert Dalton?
»Wir müssen reden, Weib!«
»Ich bin bereit! Komm herunter! Oder hast du Angst vor dunklen Kellern?«
Ich kniff die Augen zusammen und erwiderte eisig: »Ich habe vor gar nichts Angst. Auch nicht vor dir!« Natürlich war das übertrieben, aber es klang zumindest gut.
Bevor ich die schmutzigen Stufen hinunterstieg, zog ich meinen Colt Diamondback. Sofort fühlte ich mich etwas sicherer.
Stufe um Stufe legte ich zurück. Die Luft kam mir jetzt irgendwie dicker vor, ließ sich schwerer einatmen. Vielleicht hatte die Hexe gefährliche Dämpfe geschaffen, die mir langsam die Besinnung rauben sollten.
Sowie ich merkte, daß ich nicht mehr voll einsatzfähig war, würde ich umkehren und die Stufen hinaufstürmen, doch im Moment war ich noch okay.
Mit jedem Schritt begab ich mich mehr in eine bleigraue Dunkelheit, die sich um mich legte wie ein zweiter Mantel. Die Ungewißheit nagte an meinen Nerven.
Ich konnte nicht vorhersehen, wie die Begegnung mit Abby Vymax ausgehen würde. Alles war möglich – vom Mord bis zum Bündnisangebot.
Viele Kriegsherrn hatten schon den Rat befolgt: Wenn du einen Feind nicht schlagen kannst, verbünde dich mit ihm! Ich war nicht so überheblich, mir einzubilden, daß mich Abby Vymax nicht schlagen konnte.
Feuchtkalt legte sich die Luft auf meinen heißen Nacken; ein unangenehmes Gefühl. Meine Augen versuchten die Dunkelheit zu durchdringen.
Abby schien hier nirgendwo zu sein. Hatte sie nur ihre Stimme von hier unten hochgeschickt, während sie sich ganz woanders befand?
»Ich bin hier.« Die Stimme hallte mir lauter aus einem Kellerraum entgegen, dessen Tür
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