166 - Sohn dreier Welten
sah.
»Mein Vetter ist nämlich Karawanenknecht. Kamshaa-Treiber, um genau zu sein. Er ist weit herumgekommen.«
Sie traten ein und kamen in einen Vorraum. Ein halbes Dutzend Türen wichen von ihm ab. Eine metallene Wendeltreppe führte nach oben. Kerzenhalter erhellten den Raum.
Quart'ol sah einen Sekretär aus dunklem Holz und mehrere Hocker. Auf dem Tisch stapelten sich viele Pergamente und Schriftrollen.
»Setzt euch bitte. Und verzeiht die Unordnung…« Rajeed kratzte sich an der Nase. »Leider bin ich heute Nacht allein hier…«
»Qasim ist nicht da?« Quart'ol schaute sich um.
Rajeed nahm hinter dem Schreibtisch Platz und schüttelte den Kopf. »Er ist um die siebzehnte Stunde nach Hause gegangen, um ein Häppchen zu essen.« Er zuckte entschuldigend die Achseln. »Aus mir unbekannten Gründen ist er nicht zurückgekehrt.« Seine Miene zeigte, dass er sich Sorgen um seinen Arbeitgeber machte. »Zwar genießen wir Heiler auch in Kriegszeiten Immunität, aber allmählich muss ich mich doch fragen, ob Qasim vielleicht etwas widerfahren ist…«
»In der Tat…« Quart'ol dachte nach.
»Was sagt er?«, klackte Buki'pa.
»Was ist mit eurem Gefährten los?«, erkundigte sich Rajeed.
»Hat er einen Husten?«
»Oh, nein«, sagte Quart'ol schnell, bevor Rajeed auf die Idee kam, Buki'pa ein Stöckchen in den Mund zu schieben und ihn zu bitten, »Ahhh« zu sagen. »Er hat ein Schweigegelübde abgelegt. In wichtigen Fällen darf er sich allerdings mit Lauten verständlich machen, die nur ich verstehe.« Er hüstelte. »Er möchte wissen, ob Qasim vielleicht den Kriegern in die Hände gefallen ist, die draußen durch die Gassen ziehen.«
Rajeed stand auf, umrundete den Schreibtisch und baute sich vor einem kleinen Fenster auf. »Es ist durchaus möglich«, entgegnete er, »dass eine der Gruppen ihn entführt hat, weil sie die Dienste eines Heilers braucht…« Er drehte sich um, seine Miene wurde finster. »Normalerweise muss Qasim, um die Neutralität der Heilergilde nicht zu verletzen, darauf bestehen, dass man Verwundete in unsere Heilstätte bringt. Sonst könnte der Eindruck entstehen, dass wir parteiisch sind, und das können wir uns nicht leisten.«
»Wieso nicht?« Wäre Quart'ols Stirn in der Lage gewesen, sich zu runzeln, hätte sie es gewiss getan. Dass die Wissenschaft sich aus der Politik heraushalten sollte, glaubte er nicht unbedingt. Die unpolitischen Forscher der Menschen hatten ja bewiesen, wozu es führte, wenn man unpolitische Atomwaffen baute, ohne sich zu fragen, gegen wen sie später wohl eingesetzt wurden.
»Weil die Gruppierungen, die in Kara'ki den Ton angeben, uns den Turm mietfrei zur Verfügung stellen.«
Das ist nur recht und billig, dachte Quart'ol, denn schließlich profitieren sie ja von eurer Heilkunst. »Was sind das für Gruppierungen?« Die Frage kam nicht von ungefähr.
Immerhin stand ihnen der Rückweg zum Meer noch bevor, da war es vielleicht ganz gut, wenn man wusste, wer einen unterwegs bedrohen und wie man ihn eventuell besänftigen konnte.
»Oh…« Rajeed zuckte die Achseln und wandte sich wieder dem Fenster zu. »Wir Heiler interessieren uns schon aus gesundheitlichen Gründen nicht für Politik und fragen auch unsere Patienten nicht, welcher Fraktion sie angehören.« Er räusperte sich. »Aber natürlich hören wir hier und da schon mal das eine oder andere und können abschätzen, wer für was und gegen wen arbeitet.«
Er marschierte zum Sekretär zurück, schwang sein Hinterteil auf die Platte und zählte an den Fingern ab.
»Beherrscht wird diese Region, wie ihr sicher wisst, von Sultan Tscharlee, dessen Ahnen vor Kristofluu aus dem sagenhafte Land Meeraka zu uns kamen.« Er bekreuzigte sich.
»Er ist das Oberhaupt der Bewegung zur Lobpreisung des Gottessohnes Kristian, der bald nach Kara'ki kommen wird, um für all unsere Sünden zu sterben.« Rajeed schaute an die Decke, als glaube er kein Wort von dem, was er sagte. »Der Sultan wird von den Anhängern der Einzig Selig Machenden Religion der Welt bekämpft, die bestreitet, dass Kristian Gottes Sohn ist und ihn nur für einen Propheten hält. Eine andere Bewegung, die die Dynastie des Sultans seit fünfhundert Jahren bekämpft, ist die der Heiligen Krieger des Bärtigen Propheten, der nicht abgebildet werden darf. Der Bärtige hat seine Prophezeiungen in einer Schriftrolle niedergelegt, die nur von den Heiligen Männern des Ordens gelesen werden dürfen. Die Heiligen Krieger hassen die Kristianer
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