1661
Wendung mir schmeichelt, da ich der Ehre nicht würdig bin, die Ihr mir erweist, indem Ihr mich an Euren Sorgen teilhaben lasst. Des Weiteren, weil ich sehe, dass wir auf verschiedenen Wegen zu ein und derselben Einschätzung gelangt sind. Ihr glaubt, dassMademoiselle de La Vallière Eure künftige Gattin in ihren Klagen bestärkt und Euch schaden könnte, indem sie diese Verleumdungen Euch gegenüber dem König übermittelt. Das ist zu befürchten, und es verstimmt mich, weil es Euch verletzt. Ihr haltet das junge Mädchen also für unkontrollierbar. Davon bin ich ebenfalls überzeugt. Es kommt häufig vor, dass die jungen Kurtisanen Flausen im Kopf haben. Schade um Mademoiselle de La Vallière. Wir haben ihr jede Chance gegeben«, fügte er hinzu und wandte sich an Olympia, die stumm geblieben war, »aber sie hat sie nicht genutzt. Schade um sie«, wiederholte er. Endlich blieb er stehen und sah Olympia durchdringend an. »Ich für meinen Teil«, schloss er, »ich habe noch viel schlimmere Befürchtungen.«
»Ich habe gesehen, wie sie sich in Saint-Mandé lange mit dem Oberintendanten unterhielt«, erklärte die junge Frau, als gäbe sie Antwort auf eine Frage.
»Und sogar den Namen eines jungen Mannes namens Gabriel nannte«, schnitt ihr Colbert das Wort ab, »eines jungen Mannes, dessen Neigung, sich im Umfeld erwiesener Verschwörer gegen die Staatssicherheit aufzuhalten, mir langsam lästig wird, und dies umso mehr, als er unmittelbar nach einem Zwiegespräch mit Oberintendant Fouquet spurlos verschwunden ist! Ihr habt recht, Hoheit«, fuhr er mit erhobener Stimme fort, »all das haben wir lange genug mit angesehen. Die Fakten liegen auf dem Tisch, niederschmetternde Fakten. Nun müssen wir zur Tat schreiten. Sofort. Es muss ein Ende haben. Meine Männer werden es übernehmen, diesen Gabriel aufzuspüren und die Hand auf …«
Colbert hielt inne und deutete mit einer Geste an, dass es zu lange dauern würde, dies weiter auszuführen.
»Nun gut, das ist eine andere Geschichte. Meine Männer werden ihn also aufspüren. Doch parallel dazu müssen wir jegliche Zusammenkunft des Königs mit Mademoiselle de LaVallière unterbinden. Sie muss entfernt werden«, schloss er mit unheilverkündender Stimme.
Der Bruder des Königs erstarrte für einen Moment.
»Was bedeutet das?«, fragte er besorgt.
»Das bedeutet«, sagte Colbert und näherte sich Olympia, »dass aus der Botin, die Sicherheit versprochen hat, eine Botin der Unsicherheit wird.«
Die Verblüffung, die im Gesicht des Prinzen mit seinen hochgezogenen Augenbrauen zu lesen war, entlockte Colbert ein Lächeln.
»Ihr wart noch nicht geboren, Hoheit, aber Ihr habt bestimmt von dem Abenteuer gehört, das Eurer Mutter, der Königin, Gott schütze sie, widerfuhr.«
Als er sah, dass der Prinz nicht reagierte, fuhr Colbert in belehrendem Ton fort.
»Als Euer Vater, Ludwig XIII., entdeckte, dass die Königin ihre spanischen Eltern brieflich über alles informierte, was er plante und tat, wollte er sie verstoßen. Zu ihrem Glück wurde sie damals von Kardinal Mazarin, Gott hab ihn selig, nach besten Kräften unterstützt. Nun, was gewesen ist, kann wieder geschehen. Doch in einem vergleichbaren Fall hätte Mademoiselle de La Vallière keinen Fürsprecher wie den Kardinal, um sich zu verteidigen!«
»Wenn sie ein Komplott schmieden würde!«, begeisterte sich der Bruder des Königs, der plötzlich begriff.
»Genau«, bestätigte Colbert. »Endlich eine Unterhaltung, die ich konstruktiv finde«, sagte er, an Olympia gerichtet.
Diese erhob sich und verabschiedete sich von beiden Männern mit einem Knicks, bevor sie sich zur Tür begab.
»Ihr glaubt also, dass das Problem bald gelöst sein wird?«, fragte der Prinz.
»Ich glaube es nicht. Ich bin davon überzeugt«, antwortete Colbert zuversichtlich. »Hoheit, die größte Tugend von Frauenwie Olympia besteht darin, dass sie etwas begreifen, ohne dass man viel und explizit darüber reden muss … sofern es gegen die geht, die sie hassen. Ich zweifle nicht an ihrer Fähigkeit, Ideen in die Tat umzusetzen. Sie besitzt eine konkrete Vorstellungskraft, die so typisch ist für Frauen.«
Der Bruder des Königs begnügte sich mit einem Nicken.
London, Buckingham Palace
Freitag, 22. April, fünf Uhr nachmittags
An der Seite Fouquets wartete Gabriel im Empfangssaal für die Botschafter. Als er den Blick zum gewaltigen Sims des steinernen Kamins hob, der von zwei bärtigen Riesen gehalten wurde,
Weitere Kostenlose Bücher