1661
unterdrückte er einen Ausruf des Erstaunens.
»Seht nur!«, sagte er und machte den Oberintendanten auf das Wappen aufmerksam, das in den Stein gemeißelt war.
Fouquet lächelte, als er die Augen hob.
»Worüber seid Ihr so erstaunt, mein junger Freund?«
»Das ist doch Französisch«, erklärte Gabriel und zeigte auf den eingemeißelten Leitspruch. »Da steht:
›Honni soit qui mal y pense.‹
Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt.«
»Das ist mir nicht entgangen«, antwortete Fouquet gelassen. »Umso weniger, da es die Devise des Königs und seiner Familie ist. Sie gehört übrigens zu den Dingen, die seine Gegner und die Mörder seines Vaters ihm vorwerfen … Das alles versetzt Euch also in Erstaunen. Ich habe demnach keinen Sekretär, sondern einen Schüler«, spottete er in herzlichem Ton.
Da öffneten sich die Türen. An der Spitze des Gefolges schritt Karl II., der König von England. Gabriel war von der Charakterstärke fasziniert, die der König ausstrahlte, während er gemessenen Schritts auf das mit purpurnen Stoffen ausgeschlagene Podest stieg, auf dem der Thron stand, über dem wiederum ein Schild mit den Löwen von England hing.
Wie jung er ist, dachte Gabriel, fast so jung wie der König von Frankreich. Fast so jung wie ich.
Man folgte dem Ablauf, den das Protokoll vorschrieb. Der König nahm die Ehrenbezeigungen der ausländischen Besucher entgegen, von Spaniern, Österreichern, Franzosen. Ein jeder beäugte misstrauisch den anderen, ein jeder suchte die wahren Motive der einzelnen Höflichkeitsbotschaften zu entschlüsseln, die dem jungen, neuen Monarchen überbracht wurden, welcher erst vor kurzem, nach der Wiederherstellung der Monarchie, den Thron bestiegen hatte. Gabriel dachte, dass dies zweifellos die Ursache für die im Saal spürbare Spannung war, die Kälte und Nüchternheit um sie herum. Vielleicht wog der Argwohn doch schwerer, besann er sich, als ihm die massive Präsenz der Wachen um das Podest herum auffiel. Sie ließen die Besucher nicht aus den Augen, musterten sie kritisch von oben bis unten, ob sie unter ihrer Kleidung nicht vielleicht eine Waffe verborgen hätten.
»Gabriel, Gabriel!«
Als er jemanden leise seinen Namen rufen hörte, drehte Gabriel sich um, gerade in dem Moment, als Fouquet sich vor Karl II. verbeugte und ihm ein Schreiben des Königs überreichte.
Gabriel erkannte zunächst nur eine unförmige Silhouette neben einer Seitentür, wenige Meter rechts von ihm.
»Gabriel«, drängte der Schatten, immer noch mit leiser Stimme.
Die Stimme habe ich doch schon einmal gehört, dachte Gabriel und näherte sich langsam der Tür, wobei er gleichzeitig versuchte, Fouquet im Blick zu behalten.
»Wer ruft mich?«, fragte er ebenso leise.
Eine Hand schloss sich um sein Handgelenk und zog ihn mit einer hastigen Bewegung in den Schatten der Tür.
»Monsieur Barrême!«
Der Mathematiker bedeutete ihm, leiser zu sprechen, und machte Anstalten, ihn mit sich aus dem Saal zu ziehen.
»Psst! Keine Namen. Sagt nichts, und folgt mir.«
»Aber was tut Ihr hier?«, fragte Gabriel, ohne sich von der Stelle zu rühren. »Und wohin soll ich Euch folgen?«
Barrême drehte sich mit zorniger Miene um.
»Hört Ihr denn niemals auf, zur falschen Zeit unnütze Fragen zu stellen?«
Gabriel bewegte sich noch immer nicht.
»Um Himmels willen, Gabriel, folgt mir«, drängte Barrême. »Wir haben nur wenig Zeit, wenn Eure Abwesenheit unbemerkt bleiben soll. Ihr wollt doch wissen, was es mit den Papieren auf sich hat, die Ihr mir gezeigt habt …«, fügte er mit kaum noch hörbarer Stimme hinzu.
Gabriel warf einen Blick in den Saal und sah, dass Fouquet noch immer mit dem König sprach. Er zögerte einen Augenblick, dann gab er Barrême ein Zeichen, er möge ihm den Weg zeigen. Komischer Kauz, dachte er und passte seine Schritte denen des beleibten Mannes an.
London, Wohnsitz von André de Pontbriand
Freitag, 22. April, halb sechs Uhr abends
Der Mann, der den Namen Charles Saint John angenommen hatte, hielt es nicht länger aus. Er war außerstande, sich auf das Kontenbuch seiner bescheidenen Handelsgesellschaft zu konzentrieren. Ebenso wenig hatte er die Ruhe, das Leben und Treiben auf der Straße zu beobachten, wie er es für gewöhnlich tat, wenn es ihm an Aufmerksamkeit für seine Arbeit fehlte. Seit Barrême ihm den Besuch angekündigt hatte, den er an diesem späten Nachmittag erwartete, hatte den müden alten Mann eine Art Fieber gepackt.
Fünfzehn Jahre ist
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