1661
Sonnenstrahlen in den Raum drangen.
Bald sitzt unser Eichhörnchen in der Falle! Perrault muss mir nur noch ein paar zusätzliche Beweise bringen, dann kann der König nicht mehr zurück. Nein, dann gibt es wirklich keinen Ausweg mehr für den verdammten Fouquet. Ich habe alle Unterlagen beisammen und kann einen Prozess gegen ihn anstrengen, den der Herr Oberintendant nicht übersteht!, dachte Colbert und klopfte auf den Bericht mit der Aufzählung der Waffen, die Nicolas Fouquet auf Belle-Île gehortet hatte. Zumal ich mittels eines Strohmanns sein Amt als Oberster Staatsanwalt aufkaufen werde. Dieser Schachzug nimmt ihm den letzten Rest seines Einflusses auf die Richter! Danach, bevor ich ihn verhaften lasse, muss ich noch die etwaigen Einwände der Königinmutter aus dem Weg räumen. Das wird bestimmt nicht ganz einfach, aber ich habe schon Schlimmeres erlebt, sagte er sich. Im Übrigen ist es für mich von Vorteil, dass ich sie bei unserer letzten Unterredung ein wenig verunsichert habe. Anna von Österreich würde das Eichhörnchen nicht gern opfern, doch sie würde sich eher einen Arm abschneiden lassen, als das Risiko eingehen, dass ihr Sohn Schaden erleiden könnte. Was für ein schöner Tag, dachte Colbert und erhob sich, um die Gärten des Louvre etwas näher zu betrachten und die warmen Sonnenstrahlen zu genießen.
Palais du Louvre
Sonntag, 12. Juni, elf Uhr morgens
»Los, los, gebt ihn mir«, befahl der König mit so ungeduldiger wie freudig erregter Stimme und streckte seinen ledergepolsterten Arm aus.
»Eure Majestät haben sich davon überzeugt, dass der Handschuh fest sitzt?«, sorgte sich d’Artagnan.
»Ich bin nicht aus Zucker, daher muss man mich auch nicht verhätscheln!«, antwortete der König herablassend und nahm seine Position ein. »Also, gebt ihn mir, Monsieur.«
Colbert, der in diesem Moment die Tür zum königlichen Kabinett öffnete, wich unwillkürlich zurück, als sein Blick auf den Mann fiel, der sich dem König näherte.
Der Falkner des Königs, der den gleichen ledernen Schutz übergestreift hatte, trug auf seinem Arm einen Gerfalken, dessen nervöse Flügelschläge eine Spannweite von über einem Meter offenbarten. Der Mann stellte sich nun neben den Herrscher, drückte seinen Arm gegen dessen Arm und ließ die scharfen Krallen von seinem Handschuh auf den von Ludwig XIV. gleiten. Der König beobachtete fasziniert, wie der Falkner dem Raubvogel leise alle möglichen Töne zupfiff; der Kopf des Tieres, der mit einer schwarzen Lederkappe verhüllt war, bewegte sich ruckartig. Colbert schien die Szene eine Ewigkeit zu dauern. Der kleine Mann hatte sich zu dem Arbeitstisch geflüchtet, auf dem er eine voluminöse, fahlgelbeAktenmappe niedergelegt hatte, und verfolgte das Geschehen mit einem Anflug von Misstrauen. Er musste unweigerlich daran denken, dass das kriegerische und tierische Ritual diesen Ort entwürdigte, welcher der Intelligenz, der Berechnung und dem strategischen Vorgehen vorbehalten war.
Der König wanderte nun im Zimmer auf und ab, die Augen auf den Gerfalken gerichtet, der auf seiner erhobenen Faust festgemacht war. Ein fast kindlicher Stolz erhellte sein Gesicht.
»Teilt dem Botschafter mit, wie sehr mich dieses Geschenk entzückt«, rief er in den Raum hinein, während er unablässig den Falken ansah.
Einer nach dem anderen ließ jeder, an dem er vorbeischritt, bewunderndes Gemurmel vernehmen, das ihn in Hochstimmung versetzte.
»Solch ein Bild müsste man malen«, meinte der König.
Dann fiel sein Blick auf Colbert. Ein Lächeln ging über sein Gesicht, als er die angespannte Miene des neuen Intendanten der Finanzen sah.
»Nun, Monsieur Colbert, seht nur, was der Türke mir hat bringen lassen! Ist er nicht wunderschön?«
Colbert kämpfte, um nicht die Augen zu schließen, als der Falke seine Flügel ausbreitete und unmittelbar vor seinem Gesicht durchdringende Schreie ausstieß.
»Aber ja, Sire«, bestätigte er mit respektvollem Gruß.
»Ist mein Geschenk die Ursache der Besorgnis, die ich Euch ansehe?«, fragte der König.
Colbert protestierte.
»Nicht im Geringsten, Sire, aber es gibt gewisse Dinge, die mir Sorge bereiten und die umso schwerer auf mir lasten, als sie das Königreich und Eure Majestät betreffen.«
In die Realität zurückgerufen, verdüsterte sich das Gesicht Ludwigs XIV.
»Es stimmt, Monsieur, dass uns die Arbeit ruft. Ich kann es Euch nicht vorwerfen, selbst wenn die Augenblicke ungetrübter Freude selten sind …
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