1661
Er zitterte angesichts der großen Chance, die sich ihm urplötzlich bot. Kaum zwanzig Jahre alt, war der großgewachsene junge Mann, der herrlich strahlende grüne Augen hatte, ohne besondere Empfehlung vor gut einem Monat in Molières Dienste getreten. Der Direktor der »Truppe von Monsieur, dem einzigen Bruder des Königs« hatte sich köstlich über die Begeisterung und die Naivität des jungen Mannes amüsiert, der ihn eines Tages vor dem Palasttheater angesprochen und ihm mir nichts, dir nichts sein brennendes Verlangen offenbart hatte, zu seiner Truppe zu gehören. Die Worte waren nur so aus seinem Mund gesprudelt, als er Molière eine Aufführung seiner Wanderbühne in Erinnerung rief, die er einst als kleiner Junge in Anjou gesehen hatte. Damals habe ihn das Stück so mitgerissen, dass er danach unbedingt Schauspieler werden wollte. Seither seien viele Jahre vergangen; sein fieberhaftes Verlangen, sich ihnen anzuschließen, hätte indes nicht nachgelassen.
Molière hatte an jenem Tag die Gelegenheit beim Schopf gepackt, billig zu einem Privatsekretär zu kommen. Gabriel hatte sich schnell in die berühmte Truppe eingefügt, in der ein fröhliches Durcheinander herrschte. Die Frauen waren von seinem Aussehen und seinem liebenswerten Lächeln ganz hingerissen, während die Männer sich freuten, einen hilfsbereiten,immer gutgelaunten Kameraden bekommen zu haben. Und Molière? Zwar hatte er starke Zweifel an Gabriels Berufung zum Schauspieler, jedoch schätzte er die Ernsthaftigkeit, das Schreibtalent und die gute Erziehung des Jünglings. Abgesehen von seiner Herkunft aus der Provinz wusste er jedoch nicht viel von ihm, wenn er auch vermutete, dass Gabriel aus gutem Hause stammte und mit den Seinen gebrochen hatte.
Als er nun mit einem Satz auf die Bühne sprang, spürte Gabriel, wie ihm das Herz bis zum Hals schlug. Wovon er seit frühester Kindheit geträumt hatte, sollte sich nun endlich erfüllen. Gabriel de Pontbriand entstammte einem reichen, in Amboise ansässigen Adelsgeschlecht. Er war bei seinem Onkel aufgewachsen, der ihm von klein auf den Vater ersetzt hatte. An seinen leiblichen Vater erinnerte er sich kaum. Während er eine vorzügliche Erziehung erhielt und bei den besten Familien der Touraine ein und aus ging, hatte er in der Unbekümmertheit seines kindlichen Alters und beeinflusst durch viel Lektüre die Zeit verträumt. Bis die Aufführung von Molières Wanderbühne ihm die Augen geöffnet hatte, ihm gezeigt hatte, dass noch ein anderes Leben möglich war als jene von seiner Familie genau vorgezeichnete Laufbahn. Indem er aus Amboise und vor dem Zorn seines Onkels und Vormunds geflohen und in die Dienste des Dichters der ›Lächerlichen Preziösen‹ – einer Komödie, mit der Molière 1659 der Durchbruch erzielt hatte – getreten war, war er dem Arrest entkommen, mit dem ihm das Familienoberhaupt gedroht hatte, war dieser doch fest entschlossen gewesen, ihm seine »Spinnereien« auszutreiben und ihn auf den rechten Weg zurückzubringen. Bei der bloßen Erwähnung der Schauspielerei hatte sein Onkel mit den Zähnen geknirscht und mit leiser Stimme über »die Wirrköpfe, wie auch dein Vater einer war« geflucht. Durch seinen Wagemut hatte Gabriel aber auch gezeigt, wie viel Zielstrebigkeit es erforderte, sich über sein Schicksal zuerheben, wenn man im Jahre 1661 zwanzig Jahre alt war. Er, der von einem strengen Onkel erzogen war, er, dem das Leben eines
Robin
vorherbestimmt war, eines mit einem öffentlichen Amt betrauten Adeligen, der seine Tage damit zubrachte, zuzusehen, wie die Steuern in seine Kassen flossen, und die säumigen Zahler ins Gefängnis zu werfen, er hatte es geschafft, dass der Traum seines Lebens in Erfüllung ging! Spielen, dachte er glücklich, als er nun neben Don Garcia trat, endlich darf ich spielen und zeigen, was ich kann …
»Sie können wohl, mein Prinz, um unser Leid zu rächen, Durch manche Heldentat zu Ihren Gunsten sprechen …«
Kurz darauf kehrte jedoch Madeleine Béjart auf ihren Platz zurück, die schönen Wangen von dem Weinkrampf noch ganz gerötet, so dass die Probe wieder normal weitergehen konnte. Stolz, diese erste Szene ganz anständig hinter sich gebracht zu haben, gleichzeitig aber auch ein wenig enttäuscht, weil sein Auftritt nicht länger gedauert hatte, kletterte Gabriel in den Souffleurkasten hinunter, um aus nächster Nähe den weiteren Verlauf des Stücks beobachten zu können.
»Wenn Sie so lieben, wie man mich
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