1661
Raunen durch die Menge, ein Tuscheln, das von der Seine herkam und immer mehr anschwoll.
»Condé, Condé!«
Kurz darauf ging das Flüstern in lautem Geschrei unter. Es kam von einer kleinen Gruppe in Lumpen Gekleideter, die neben der Karosse des Prinzen von Condé herliefen, dessen Wappen sie auf der Louvrebrücke erkannt hatten. Die wogende Menge schob die vordersten Reihen bis unter die Säulenhalle, wo sie auf die städtischen Ordnungskräfte stießen, die dort postiert worden waren, um den Massen den Zutritt zu verweigern. Mit Faustschlägen und Stiefeltritten drängten sie die Menschen zurück, so dass es zu einem Handgemenge kam, das sich nach wenigen Augenblicken jedoch wie durch Zauberhand auflöste. Abgesichert von zwei Reihen Landsknechten, die ihre Hellebarden gekreuzt hatten, tat sich mitten in der Menge ein schmaler Durchgang auf. Ein paarKinder, die auf die Sockel der Säulen geklettert waren, sahen daraufhin einen Riesen mit ungeschlachten Zügen, einer hochmütigen Miene und einem Stiernacken aus der Karosse steigen. Fast einen Kopf größer als die meisten, schritt der Prinz, der es elf Jahre zuvor gewagt hatte, der königlichen Staatsgewalt zu trotzen, worauf die
Fronde des Princes
ausbrach, durch die erregte Menge und verschwand im Theater. Den Schaulustigen, die seinen Namen skandierten, schenkte er dabei keinerlei Beachtung.
»Der bleibt sich immer gleich«, murmelte eine alte Frau in der ersten Reihe, »so einer wie Condé wird sich den Parisern gegenüber niemals anders verhalten. Immer reserviert, immer distanziert …«
Doch schon wandte sich die Aufmerksamkeit der Menge einer anderen Kutsche zu. Der Platz belebte sich. Immer mehr Kutschen fuhren vor, luden ihre Insassen ab und fuhren wieder davon, um etwas weiter entfernt auf das Ende der Vorstellung zu warten. Bewunderungsrufe mischten sich mit Scherzen, Gelächter mit lauten Rufen.
»Die Bettler«, flüsterte Mazarin mit matter Stimme und zog den Vorhang an der Tür seiner Karosse wieder vor. »Schaut nur, wie sie sich amüsieren. Das ist für sie das Wichtigste, das Spektakel eines Possenreißers …«
»Lasst uns fahren, Eure Eminenz«, sagte Colbert leise zu seinem Herrn, »umso eher sind wir in Vincennes, und umso eher könnt Ihr Euch von der Anstrengung der Reise und des Trubels erholen.«
Mazarin, den das Rumpeln über das holprige Pflaster qualvoll stöhnen ließ, stimmte wortlos zu. Er breitete die Arme aus und zwang sich, den drei jungen Damen, die ihm gegenübersaßen, zuzulächeln.
»Auf Wiedersehen, meine Schönen, los, eilt hinein. Eine solches Amüsement passt zu eurem Alter, und euer alterOnkel hat nicht das Recht, euch vom Leben fernzuhalten, nur weil seines sich dem Ende zuneigt …«
Seine drei Nichten protestierten laut, senkten dann aber den Kopf, um den Segen des Alten zu empfangen. Ihre Köpfe bildeten unter seinen Handflächen einen Wald von pechschwarzen Haaren, wobei ihre für diesen Abend gewählten Frisuren den Eindruck von einer unglaublich dichten Haarpracht noch verstärkten. Als Mazarin seine Hände zurückzog, machte Colbert dem Kutscher ein Zeichen, dass er anhalten solle. Unter dem Gejohle der buntgekleideten Gaukler, die schon von den ersten Fackeln beleuchtet wurden, öffnete ein Lakai die Tür. Erschrocken kniff Mazarin die Augen zusammen und lehnte sich weit zurück. Als Letzte stieg Hortensia aus. Sie drückte ihrem Onkel zart die Hand und führte sie an ihre Lippen. Dann sprang sie rasch hinaus und verschwand in der Menge.
Angeführt von der berittenen Kardinalsgarde, fuhr die Karosse wieder an. In ihrem Innern herrschte Stille. Nur das Klappern der Pferdehufe hallte durch die Nacht.
»Vier Monate, Colbert, die Ärzte haben gesagt, dass mir noch vier Monate bleiben. Ich aber, ich sage vier Wochen, mehr nicht. Ich kenne diese Quacksalber. Mein Astrologe hat erklärt, dass die Gefahr unter diesem Mond groß sei und noch größer unter dem nächsten. Ich ziehe seine Halbwahrheiten den Schmeicheleien der Pfuscher vor, die mich nur immer wieder zur Ader gelassen haben. Sie haben unheimliche Angst, mich zu verlieren …« Zu Colberts Verwunderung packte Mazarin ihn nun am Arm. »Mir bleibt nicht mehr viel Zeit, Colbert. Ich muss an meinen Nachruhm denken, an das, was ich der Nachwelt überliefern will. Sobald wir in Vincennes sind, lasst bitte meinen Sekretär kommen. Wir müssen unsere Großtaten zu Papier bringen.«
Die Finger des alten Mannes lockerten sich. Das Rüttelnder
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