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1661

1661

Titel: 1661 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Lépée
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hoher See wäre. Er betrachtete ihn schweigend, bevor er sich entschloss, ihn zu öffnen. Als ob damit ein ganzer Zeitabschnitt, Gesichter, das verrückte Jahr, das sein Leben auf den Kopf gestellt hatte, noch ein wenig mehr verblassen würden.
    Eine Welle der Wehmut und Traurigkeit überkam ihn, als er sich seine letzten Tage in Frankreich in Erinnerung rief. Die Strecke bis nach Nantes hatte er damit verbracht, an Louise zu denken – sie war nicht zum vereinbarten Treffpunkt an der Porte Saint-Martin gekommen, und er hatte eine Stunde vergeblich darauf gewartet, dass ihre Silhouette im Torbogen erscheinen würde.
    Wenn ich diesen Brief gelesen und vernichtet habe, bleibt mir nichts von meinem vergangenen Leben, nichts wird mich mehr mit ihm verbinden, und ich werde verschwunden sein wie mein Vater vor fünfzehn Jahren, sagte er sich. Er zögerte einen Augenblick. Dann brach er mit einer entschlossenen Handbewegung das blaue Siegel und begann zu lesen.
    Mein lieber Gabriel,
    wenn Ihr diesen Brief lest, seid Ihr sicherlich weit fort von unserer Touraine. Wenn François d’Orbay ihn Euch gegeben hat, heißt das, dass unsere Suche noch nicht vollendetist, aber auch, dass Ihr Euch entschieden habt, wirklich einer der Unseren zu werden und die Fackel zu ergreifen, die ich in meinen Händen hielt. Ironie der Geschichte: Als Eure Eltern Euren Vornamen ausgesucht haben, taten sie dies, so hat Euer Vater es François d’Orbay erzählt, weil ihnen keine Bestimmung schöner erschien als die des Boten, der das Wort Gottes bringt   …
    In der Zukunft wird es Euch vielleicht gegeben sein, unsere Reise zu vollenden oder die Verantwortung dafür an jemand anders weiterzugeben. Bis dahin habt Ihr sicherlich erlebt, wie Eure Brüder verschwanden, andere werdet Ihr verlassen haben, ohne Hoffnung auf Rückkehr. Ich bete für Euch, dass die Prüfungen, die Ihr bestehen müsst, in Eurem Herzen keine Bitterkeit hinterlassen – die einzige Gefahr, die wir fürchten müssen. Gabriel, gebt Eurer Mission einen Platz in Eurem Herzen, lasst Eure individuelle Bestimmung mit der kollektiven Aufgabe verschmelzen, die mühselig ist und übermäßig groß im Vergleich zu unserem Dasein. Das ist das Vermächtnis, das ich Euch überantworte. Es ist wenig und zugleich viel.
    In der Holzschatulle, die François Euch übergeben hat, findet Ihr die Übersetzung eines der Schriftstücke, die Mazarin gestohlen wurden und die in Euren Besitz gelangt waren. Es handelt sich um Losungsworte, Kontakte und Adressen, die Ihr braucht, um über einen Teil des von Mazarin und den Seinen unrechtmäßig angehäuften Vermögens zu verfügen. Dieser Schatz steht von nun an unter Eurer Verantwortung. Er wird, zusammen mit Euch, der effizienteste Bewahrer unseres Geheimnisses sein.
    In Euren Händen liegt das Schicksal des Fünften Evangeliums, das heißt, wie ich Euch in den Gärten von Vaux offenbart habe, des Originaltexts der heiligen Schriften, die Petrus verändert hat. Es steht Euch frei, einen Blick auf daszu werfen, was Königsthrone hat erzittern, Blut hat fließen lassen und noch weitere schreckliche Unglücke bewirken könnte, wenn es nicht mehr der Kontrolle seiner Bewahrer unterliegt.
    Ich stelle mir vor, wie Ihr an dieser Stelle Eurer Lektüre mit jugendlicher Ungeduld darauf brennt, Euch seiner Wahrheit zu bemächtigen: Habt Ihr noch nicht erraten, was sie beinhaltet? Denkt nach, Gabriel: Man kann Könige töten, ihre Abstammung in Zweifel ziehen, ihnen ihr Land fortnehmen, man kann ein Komplott schmieden, um einen Papst abzusetzen und einen anderen zu wählen. Das alles kann in der Politik passieren. Bis auf eine Sache, die vor jeder Legitimität existiert und ihr Weiterbestehen sichert: die Verbindung, durch die das Heilige die zeitliche Macht segnet. Und woher kommt diese Macht, die aus den Herrschenden »Soldaten Gottes auf Erden« macht? Die Schriften haben hier Spielraum gelassen. »Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen«, sagt Christus, und auch: »Hast du mich lieb?   … Weide meine Lämmer!« Kommen Euch diese Sätze nicht merkwürdig vor, so nebeneinandergestellt, Gabriel?
    Wenn ja, dann seid Ihr nun in der Lage, das Rätsel zu lösen. An der Stelle, wo Generationen unablässig interpretiert haben, werdet Ihr begreifen. Weil Ihr wisst, dass es eine reine, nicht korrumpierte Fassung gibt. Eigentlich ein bewundernswerter Schwindel: Jahrhundertelang haben sich die Menschen im Namen der verschiedenen

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