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1661

1661

Titel: 1661 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Lépée
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Zimmer türmten sich die Akten auf eilig zusammengestellten Tischen. Colbert hatte hier alle Schriftstücke aus Mazarins Nachlass gestapelt, von denen er nicht wünschte, dass sie in den Inventaren des Königreichs erschienen. Als er die Fensterläden ein wenig öffnete, um das Licht des anbrechenden Tags hereinzulassen, konnte der kleine Mann ein Lächeln nicht unterdrücken. Die Gegenwart der Akten beruhigteihn. Jeder Stapel festigte seine Macht. Der eine barg die schändlichen Geheimnisse, die er mit der Zeit über bestimmte Leute zusammengetragen hatte. So wurden mehrere Hundert einflussreiche Persönlichkeiten wie Tiere an der Leine gehalten. Zwei andere Stapel, noch umfangreicher, listeten in allen Einzelheiten die doppelte Buchführung von Finanztransaktionen der öffentlichen Hand auf, die Anlass für die Intervention von Strohmännern gewesen waren.
    Als Colbert spürte, wie die Furcht, die ihn geweckt hatte, sich wieder auf seinen Verstand zu legen drohte, ließ er von seinen Betrachtungen ab und setzte sich vor einen vierten Stapel. Hastig blätterte er die Akten durch, die er in den letzten Tagen studiert hatte, und fand mühelos die gesuchte Stelle. Er zögerte, las aber dann die Seiten noch einmal aufmerksam durch. Und je weiter er las, desto mehr bestätigte sich seine Befürchtung. Er durchwühlte hektisch die Papiere. Wechsel, Prozente, erhaltene Provisionen, Jahre der betrügerischen Praktiken des Kardinals und seiner Machenschaften, um die Früchte der geheimen Tätigkeit nach Italien und in die Niederlande zu verschieben: Alles war da, sorgfältig aufbewahrt – aber völlig unerreichbar   …
     
    Wenige Stunden später fielen Sonnenstrahlen in den Raum und tauchten die Täfelung hinter Colbert und den großen Spiegel über dem Kamin in gleißendes Licht.
    Bleich, tief in seinen Sessel versunken, die Hände flach auf die Lehnen gelegt und mit leerem Blick, schien der Intendant wie hypnotisiert. Versteinert ließ er die stillen Sekunden verrinnen, von denen jede ihn dem Moment näherbrachte, in dem das Haus erwachen und wieder lebendig werden würde. Dann würde auch er sich der Realität stellen müssen.
    Alles war da, lag so klar vor seinen Augen, dass er sich fragte,wie er so lange gebraucht hatte, um es zu begreifen. Zweifellos war es die Eile gewesen, in der er die Schlupflöcher abdichten, sich schützen, dann zum Gegenangriff übergehen und schließlich Fouquet den Todesstoß versetzen musste, nachdem er aus ihm den idealen Sündenbock gemacht hatte. Seine ganze Energie war auf diese Ziele gerichtet gewesen, und dabei war ihm völlig entgangen, dass Mazarins Papiere nicht nur ein Inventar darstellten, sondern darüber hinaus die Möglichkeit boten, an die beschriebenen Reichtümer zu gelangen. Zehn, zwölf, vielleicht fünfzehn Millionen Livre! Er wagte es kaum, die Zahlen zu addieren. Doch es fehlte ein Blatt, und zwar ein essenzielles. Das Blatt mit dem Code, der die Zahlenfolge entschlüsselte, hinter der sich die Zwischenhändler verbargen, die Banken und die Namen, unter denen die Konten eröffnet worden waren. Ohne dieses Blatt war das Ganze völlig wertlos. Nun wurde ihm klar, weshalb ihn der Traum und das Gemälde derart erschüttert hatten: Wie Tantalus waren ihm die Besitztümer so nah und gleichzeitig unerreichbar.
    Mit einem Mal begriff er: Das fehlende Blatt war aus dem Kabinett des Kardinals gestohlen worden, und es war so persönlicher Natur gewesen, dass selbst Mazarin es unterlassen hatte, davon zu sprechen. Die Einbrecher hatten sich des Schlüssels zum Geldschrank bemächtigt und ausreichend Zeit gehabt, die so sorgfältig über die diskretesten Bankinstitute von ganz Europa verstreuten Depots ungestört zu leeren.
    Plötzlich richtete Colbert sich auf und wandte sich einem anderen Berg Geschenke zu, der in seinem Arbeitszimmer aufgestapelt war, noch imposanter als der in seinem Schlafgemach.
    »Das Bild   … Das kann kein Zufall sein   … Da war doch noch ein anderes   …«, stöhnte er. Sollte auch das zweite Gemälde, das aus derselben Sendung wie das erste stammte, auf so subtile Art eine Bedeutung für sein Leben haben? Konnte es sein,dass   … Er wühlte planlos in dem Wust von Paketen aller Größenordnungen und stieß die beiseite, die ihn bei seiner Suche behinderten.
    Schließlich räumte er einen größeren Rahmen aus dem Weg und griff zu einem Paket, das genauso aussah wie das erste. Eine Weile stand er unbeweglich da, dann zerriss er die Verpackung.

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