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Interpretationen umgebracht, dabei war der zu interpretierende Text falsch. Die Lehre Christi war hingegen vollkommen klar: »Verdammt ist, wer vorgibt, die Angelegenheiten der Menschen zu regeln im Namen meines Vaters. Verdammt ist, wer den Namen meines Vaters mit den Streitigkeiten der Mächtigen vermengt. Ob Reiche gegründet werden oder in Staub zerfallen, auf die Giebel ihrer Paläste sollen sie nicht den Namen meines Vaters schreiben. Wer sagt, er trägt das Schwert und bringt den Menschen Gerechtigkeit, der ist in Wirklichkeit ein Lügner, das sage ich euch.« Und weiter: »Selig sind, die keine Machtgier kennen, denn ihrer ist das Himmelreich an der Seite meines Vaters.«
Diese Verse sind die wahren. Die anderen, die Ihr kennt, sind falsch. Die Wahrheit ist einfach: Seit Jahrhunderten wundert man sich, warum die Frage der politischen Macht in den Schriften nicht auftaucht. Weil man sie daraus entfernt hat! Christus lehrt, dass es keine politische Macht gibt, die auf der geistlichen Wahrheit gründet, und dass jeder Versuch, die Macht der Kirche mit den Angelegenheiten der Menschen zu vermischen beziehungsweise die Macht der Menschen mit dem geistlichen Ursprung seiner Kirche zu legitimieren, Häresie ist!
Und mehr noch, die Lehre Christi, die uns der 17. August in ihrer wahren Form offenbart hat, sagt uns, warum dies unmöglich ist. Hört, Gabriel, hört die Botschaft Christi: »Gibt es unter den Sternen eine Hierarchie? Eine Rangordnung unter den Sandkörnern? Ich sage euch, dass unter den Sandkörnern nicht eines auf den Gedanken käme, seine Wahrheit den anderen aufzuzwingen. Alle sind gleich und so auch die Lämmer meines Vaters. Das Gesetz, das unter ihnen herrscht, ist das der Gerechtigkeit, und jenes der Gerechtigkeit ist das der Gleichheit. Wer herrscht, herrscht also dank der Macht, die ihm seine Brüder geben; nur wer diesen Weg wählt, wird eingehen in das Haus meines Vaters.«
Was sagt Ihr dazu, Gabriel? Stellt Euch vor, diese Nachricht verbreitet sich im Reich der Christen, stellt Euch die Massen vor, wenn sie mit einem Mal begreifen, dass die geheiligte Macht des Königs, der sie gehorchen, nicht nur eineLüge ist, sondern sogar eine Fälschung! Stellt Euch vor, sie begreifen, dass sie keinen Gehorsam mehr schulden, weder dem König noch dem Papst! Was wird Eurer Meinung nach geschehen? Deswegen haben wir die Aufgabe, einen Mann zu finden, der die Fähigkeit hat, diese Enthüllung zu bewerkstelligen, ohne dass sich die Büchse der Pandora öffnet. Das war meine Rolle, Gabriel, und nun seid Ihr in unser Geheimnis eingeweiht, auf brutalere Art und Weise, als ich es wurde oder jemals einer unserer Brüder. Aber letztlich ist es eine Frage der Dringlichkeit. Gabriel, ich stelle mir Euren erschrockenen Blick vor. Aber glaubt Ihr wirklich, dass man der Wahrheit leicht ins Antlitz sieht? Wenn das der Fall wäre, hätte die Geschichte der Menschheit einen anderen Verlauf genommen. Das war die furchtbare Macht des Petrus: Er wusste, dass man den Inhalt seiner Schriften niemals ernsthaft in Zweifel ziehen würde.
Seid trotzdem unbesorgt: Mit der Zeit werdet Ihr Euch mit dieser ungeheuren Erkenntnis vertraut machen. Ihr werdet anzuerkennen lernen, dass es elf und nicht zehn Glückseligkeiten im fünften Kapitel des Matthäus gibt. Dass Petrus nicht dreimal Christus verleugnet hat, sondern viermal, und dass das vierte Mal aus dem Text, der uns überliefert ist, ausradiert wurde. Dass sein Leugnen sich nicht darauf bezog, dass er vorgab, kein Jünger Jesu zu sein, sondern darauf, dass er den Inhalt der Heilandsbotschaft verfälscht hat. Ihr werdet lernen, zwischen den Zeilen die überzähligen Worte und die Löcher zu erkennen: die hinzugefügten und die gestrichenen Passagen. All das ist in dem Manuskript enthalten, das wir endlich entschlüsselt haben.
Nehmt Euch Zeit. Sie gibt Euch die Möglichkeit, Euch das Erbe anzueignen. Eines Tages, in einigen Monaten, vielleicht in einigen Jahren, vielleicht sogar erst nach Euch, unter denen, die Euch nachfolgen werden, wird die Botschaftwiederauferstehen, und ihre Wahrheit wird sich ausbreiten, ohne einen Wirbelsturm heraufzubeschwören.
Passt auf Euch auf, Gabriel. Zu der Stunde, da ich nach Nantes aufbreche, mit dem Ziel, meine Arbeit zu retten, begleiten meine Wünsche Euren Weg, den Ihr hoffentlich nicht allein gehen müsst.
Adieu, Gabriel de Pontbriand. Erweist Euch Eurer Brüder würdig, nach dem Vorbild Eures Vaters. Ich hoffe von ganzem Herzen,
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